Mit ultrakurzen Röntgenblitzen hat ein interdisziplinäres Forscherteam extrem schnell explodierende Wasserstrahlen abgelichtet. Ziel der Versuche am Europäischen Röntgenlaser European XFEL war, sehr kleinräumige und sehr kurze Prozesse per Röntgenholographie zu untersuchen. „Als Beispiel für so einen Prozess haben wir einen feinen Wasserstrahl gewählt, der von einem Infrarot-Laser an einer Stelle zum Explodieren gebracht wird“, sagt DESY-Forscher Johannes Hagemann, Hauptautor der Studie, die in der Januar-Ausgabe des Fachblatts „Journal of Synchrotron Radiation“ erschienen ist.
„Um solche Prozesse aufzunehmen, muss das Blitzlicht deutlich
kürzer sein als der Prozess selbst“, erläutert Hagemann. „Sonst wird das
Bild durch die Eigenbewegung des Untersuchungsobjekts verwaschen.“ Der
European XFEL erzeugt Röntgenblitze, die nur einige Dutzend
Femtosekunden kurz sind. Eine Femtosekunde ist eine millionstel
milliardstel Sekunde. An der Messstation MID (Materials Imaging and
Dynamics) lichteten die Forscher damit einen nur 0,04 Millimeter feinen
Wasserstrahl ab, der von einem starken Infrarot-Laser getroffen wird.
Das infrarote Laserlicht erhitzt den Wasserstrahl an einer Stelle
schlagartig, so dass er dort in nur 20 Nanosekunden verdampft. Eine
Nanosekunde ist eine milliardstel Sekunde.
Die resultierenden
Aufnahmen zeigen detailliert die Dynamik des explodierenden
Wasserstrahls. „Um zu diesen Bildern zu kommen, mussten wir zwei Hürden
überwinden“, schildert Hagemann aus der Gruppe von Christian Schroer,
Leitender Wissenschaftler bei DESY und einer der Ko-Autoren der
Veröffentlichung. „Zum einen ist die Beleuchtung durch die Röntgenblitze
nicht konstant, sondern fluktuiert stetig. Zum anderen bekommen wir
zunächst nur Hologramme, keine echten Bilder, weil es für
Röntgenstrahlen nicht solche hochqualitativen Linsen gibt wie für
sichtbares Licht, die etwa in einer Kamera das Bild erzeugen.”
Um
die erste Hürde zu meistern, machten die Wissenschaftler zahlreiche
Aufnahmen mit der springenden Beleuchtung und entwickelten daraus ein
mathematisches Modell. „Damit ist es im Nachhinein möglich, die
Beleuchtung bei einer beliebigen Messung zu beschreiben“, sagt Hagemann.
„Und erst damit lässt sich die zweite Hürde überwinden.“ Die mit Hilfe
des Beleuchtungsmodells gewonnenen Hologramme müssen numerisch
rekonstruiert werden, um das eigentliche Bild des Wasserstrahls und
seiner Explosion zu erhalten. „Dies ist zunächst zusätzlicher Aufwand,
der sich aber auszahlt“, erläutert Hagemann. „Die erhaltenen Bilder sind
nämlich nicht nur einfach Bilder, sondern eine Messung der
Elektronendichte des abgebildeten Objekts. Damit lassen sich
beispielsweise Regionen mit einer höheren Dichte identifizieren, wie sie
bei Schockvorgängen auftritt. Außerdem lassen sich aus der Dichte noch
weitere physikalische Größen wie Druck oder Temperatur ableiten.“
Der
explodierende Wasserstrahl ist dabei nicht nur ein Modellsystem,
sondern hat auch praktische Bedeutung. Zum einen wird die schnelle
Verdampfung durch kurze Laserpulse auch für medizinische Operationen
genutzt, zum anderen werden per Wasserstrahl oft biologische Proben wie
beispielsweise Proteinkristalle in den Strahl des Röntgenlasers
transportiert, um deren Struktur zu erkunden. Mit diesem Experiment ließ
sich nun zeigen, dass sich diese feinen Wasserstrahlen auch eigenen, um
größere Objekte wie intakte lebende Zellen in den Röntgenstrahl zu
bringen. Der Vorteil: Die Zellen bleiben quasi in wässeriger Umgebung
wie im Körper. Sie müssen nicht fixiert oder getrocknet werden.
Die
erfolgreiche Abbildung mit dem Röntgenlaser eröffnet nun zahlreiche
Untersuchungsmöglichkeiten. „Wir wollen in Zukunft mit dieser
Bildgebungstechnik weitere schnelle Prozesse auch in biologischer und
weicher Materie im Wasser abbilden“, sagt Forschungsleiter Tim Salditt
von der Universität Göttingen.
Die Studie ist die erste
wissenschaftliche Veröffentlichung zu Experimenten an der kürzlich
eröffneten Messstation MID des European XFEL, deren Leiter Anders Madsen
ebenfalls zum Autorenteam zählt. An der Arbeit waren Forscher und
Forscherinnen der Universitäten Göttingen und Hamburg, von European XFEL
und von DESY beteiligt. DESY ist Hauptgesellschafter des Europäischen
Röntgenlasers, der auf dem DESY-Gelände in Hamburg beginnt und bis ins
benachbarte Schenefeld in Schleswig-Holstein reicht.
Publikation: Single-Pulse
Phase-Contrast Imaging at Free-ElectronLasers in the Hard X-ray Regime;
Johannes Hagemann, Malte Vassholz, Hannes Hoeppe, Markus Osterhoff,
Juan M. Rosselló, Robert Mettin, Frank Seiboth, Andreas Schropp,
Johannes Möller, Jörg Hallmann, Chan Kim, Markus Scholz, Ulrike
Boesenberg, Robert Schaffer, Alexey Zozulya, Wei Lu, Roman Shayduk,
Anders Madsen, Christian G. Schroer and Tim Salditt; „Journal of
Synchrotron Radiation“, 2021; DOI: 10.1107/S160057752001557X