Wo sitzt welches Protein? An der TU Wien wurde nun eine neue Technik entwickelt, mit der man den Aufenthaltsort von Proteinen in der Zelle mit höchster Präzision erfassen kann. Proteine sind gleichzeitig die Bausteine und die Werkzeuge unserer Zellen. Um wichtige biologische Prozesse zu verstehen, muss man oft genau wissen, wo sich welche Proteine in welcher Häufigkeit befinden. Das ist allerdings eine große Herausforderung: Erstens, weil Proteine viel zu klein sind, um sie mit einem gewöhnlichen Lichtmikroskop abzubilden, und zweitens, weil es schwierig ist, unterschiedliche Proteine zuverlässig voneinander zu unterscheiden.
An der TU Wien gelang es nun, diese Probleme zu lösen: Mit einer
völlig neuen Kombination aus Infrarot-Spektroskopie,
Atomkraftmikroskopie und maschinellem Lernen kann man nun Proteine
innerhalb einer Zelle bestimmen und mit einer Ortsauflösung von etwa 20
Nanometern lokalisieren. Dadurch ergeben sich ganz neue
Forschungsmöglichkeiten – von der Medizin bis zur Biosprit-Produktion.
Der Trick mit der Infrarotstrahlung
„Zellen
sind meist einige Mikrometer groß, also Tausendstel eines Millimeters“,
sagt Georg Ramer vom Institut für Chemische Technologien und Analytik
der TU Wien. „Bei Lichtmikroskopen hat man mit einer ganz grundlegenden
Limitierung zu kämpfen: Strukturen, die deutlich kleiner sind als die
Wellenlänge des Lichts können nicht aufgelöst werden. Wenn man
sichtbares Licht verwendet, erscheint alles was kleiner ist als etwa 0.5
Mikrometer als verschwommener Farbklecks.“
Um Proteine innerhalb
der Zelle sichtbar zu machen, muss man daher mit speziellen Tricks
arbeiten. Oft werden bestimmte Proteine mit Fluoreszenzfarbstoffen
markiert, die man dann anschließend zum Leuchten bringt, um die Position
des Proteins zu bestimmen. Diese Markierungen können die Proteine und
die Zelle allerdings beeinflussen.
Ein interdisziplinäres Team
aus den Forschungsgruppen des analytischen Chemikers Bernhard Lendl und
der Biotechnologin Astrid R. Mach-Aigner hat nun allerdings eine völlig
neuartige Technik zur Detektion von Proteinen entwickelt, die völlig
ohne solche Markierungen auskommt. Dabei wird die Tatsache ausgenutzt,
dass man Moleküle über ihre Schwingungen identifizieren kann:
Unterschiedliche Proteine absorbieren unterschiedliche Wellenlängen im
Infrarotbereich. Wenn man misst, welche Wellenlängen absorbiert werden,
dann weiß man auch, um welches Protein es sich handelt.
Allerdings
weiß man dadurch noch nicht exakt, wo es sitzt – denn nachdem
Infrarotstrahlung mit etwa 2,5 bis 25 Mikrometern eine größere
Wellenlänge hat als sichtbares Licht, ist es zum Auflösen feiner Details
noch schlechter geeignet. Man muss die Infrarotmethode daher mit etwas
anderem kombinieren.
Der Trick mit der Atom-Nadel
„Hier
kommt das Atomkraftmikroskop ins Spiel“, erklärt Georg Ramer, der die
Zusammenarbeit koordinierte. „Dieses Gerät tastet die Probe mit einer
sehr scharfen Spitze ab. Diese Spitze hat einen Durchmesser von ungefähr
20 Nanometern, damit kann man ein sehr präzises topographisches Bild
der Probe erhalten.“ Wird die Probe nun mit Infrarotstrahlung
beleuchtet, die von einem Protein absorbiert wird, dann führt das zu
einer lokalen Erwärmung.
Genau an dieser Stelle dehnt sich die
Probe ein bisschen aus und das lässt sich mit dem Atomkraftmikroskop
messen. „So verbinden wir die Vorteile beider Methoden und ermöglichen
eine Infrarotspektroskopie mit einer Ortsauflösung von 20 Nanometern“,
sagt Catarina Santos, die Erstautorin der Studie.
Der Trick mit der Datenauswertung
Allerdings
hat man bei der Auswertung der Messergebnisse noch mit einem weiteren
Problem zu kämpfen: Mikroorganismen bestehen immer aus ähnlichen
Bausteinen – aus organischen Molekülen wie Fetten, Proteinen,
Kohlehydraten, DNA und RNA und absorbieren daher Infrarotlicht auf recht
ähnliche Weise. „Im Detail gibt es zwar Unterschiede, aber für den
menschlichen Betrachter sehen die Infrarotspektren alle fast gleich
aus“, sagt Georg Ramer. „Daher setzen wir auf Maschinenlernen: Die
Infrarotspektren werden einem Algorithmus gefüttert, der anhand von
Referenzmessungen lernt, welche Spektren einem Protein zugeordnet werden
können.“
Als erstes Testobjekt für das neue Verfahren verwendete
das Team den Pilz Trichoderma reesei. T. reesei spielt in der Industrie
eine wichtige Rolle, etwa um Cellulasen herzustellen, die unter anderem
für Biosprit benötigt werden. „Mit unserer
Nanometer-Infrarotspektroskopie gelang es, die Verteilung der Cellulasen
in einer einzelnen Pilzhyphe zu messen, ohne dafür Farbstoffe oder
anderen Markierungen zu benötigen – ein Ergebnis, das bisher nicht
möglich war“, sagt Georg Ramer. „Wir erhoffen uns dadurch ein besseres
Verständnis der Cellulaseproduktion im Pilz und damit eine effizientere
und billigere Produktion von Biosprit.“
Die
Anwendungsmöglichkeiten der neuen Methode sind breit: Das Team wird
demnächst auch Ergebnisse von anderen Mikroorganismen präsentieren.
„Besonders spannend ist, dass die Methode auch in Wasser funktioniert.
Bisher haben wir mit gefriergetrockneten Proben gearbeitet, aber nun
werden wir auch lebende Mikroorganismen untersuchen, ihnen beim Wachsen
zusehen und zum Beispiel genau studieren, wie eine einzelne Zelle auf
die Zugabe eines Nährstoffs oder eines Medikaments reagiert“, sagt Georg
Ramer.
„Das neue System ist das modernste seine Art“, sagt Prof.
Bernhard Lendl (Institut für Chemische Technologien und Analytik, TU
Wien). „Man kann damit nicht nur Proteine innerhalb der Zelle verorten,
sondern auch bei vielen anderen Forschungsfragen Ergebnisse erzielen,
die andere Methoden weit übertreffen – bis hin zum besseren Verständnis
des Alterungsprozesses in Kunstwerken, zum Aufspüren von Nanoplastik in
der Umwelt oder der Entwicklung neuer Werkstoffe. Um die einzigartigen
Vorteile der Technik möglichst weit anwendbar zu machen, machen wir sie
über Forschungskooperationen auch anderen Forschern sowie interessierten
Kooperationspartner aus der Industrie zugänglich.“
Publikation: A.
Catarina V.D. dos Santos et al., Nanoscale Infrared Spectroscopy and
Chemometrics Enable Detection of Intracellular Protein Distribution,
Anal. Chem. 2020. https://doi.org/10.1021/acs.analchem.0c02228