Auch wenn sich die Fachwelt noch nicht ganz einig ist, gehen viele Experten davon aus, dass Aerosolpartikel bei der Übertragung von Sars-CoV-2-Viren eine wichtige Rolle spielen. Aerosole entstehen beim Atmen, Husten oder Niesen, aber auch beim Reden und Singen. Anders als Tröpfchen fallen sie nicht schnell zu Boden, sondern können längere Zeit in der Luft bleiben und sich im ganzen Raum verteilen.
In Innenräumen, in denen viele Menschen längere Zeit zusammen
sind, ist die Gefahr also besonders groß, sich auch über Aerosole mit
dem Coronavirus anzustecken. Doch wie hoch ist das Infektionsrisiko
wirklich? Und wie stark lässt es sich durch Maske Tragen, Lüften und
Abstandhalten reduzieren? Wie hoch das Risiko ist, sich in einem
geschlossenen Raum über winzige Schwebteilchen mit dem Coronavirus
SARS-CoV-2 anzustecken, lässt sich jetzt mit einem Algorithmus
ermitteln.
Er gibt auch an, wie das Risiko durch Schutzmaßnahmen
wie Masken tragen und Lüften herabgesetzt wird. Er erlaubt allerdings
keine Aussagen über das Risiko, sich durch größere Tröpfchen
anzustecken, wenn man mit einem Virusträger auf kurze Distanz Kontakt
hat. Der Ansatz kann vielmehr die AHA-L-Regeln ergänzen.
Forscher
des Max-Planck-Instituts für Chemie und des Cyprus Instituts, Zypern,
haben nun eine Studie veröffentlicht, in der sie einen einfachen
Rechenalgorithmus vorstellen, um die Wahrscheinlichkeit von
Coronavirusinfektionen durch Aerosole in Innenräumen abzuschätzen. Der
Algorithmus beruht unter anderem auf Messdaten zur Virenlast in
Aerosolen, zur Menge der Schwebteilchen, die Menschen bei verschiedenen
Aktivitäten abgeben, und zum Verhalten der Partikel in Räumen.
Eine
große Unsicherheit ist dabei die Anzahl an Viren, die Aerosole
enthalten, da sie sich zwischen verschiedenen Trägern stark
unterscheiden kann. Das Modell ermittelt zudem gezielt das
Ansteckungsrisiko über die Tröpfchen und Partikel, die so klein sind,
dass sie lange in der Luft bleiben und sich in Räumen verteilen. Zur
Gefahr, sich über größere, schnell zu Boden fallende Tröpfchen zu
infizieren, wenn man mit Trägern des Virus über kurze Distanz spricht,
lacht oder singt, erlaubt es keine Aussagen.
Verschiedene Szenarien wählbar: Klassenraum, Büro, Feier oder Chorprobe
Die
Berechnung des Ansteckungsrisikos über Aerosole ist über eine
Eingabemaske auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für Chemie
möglich. Darin kann man verschiedene Parameter wie Raumgröße,
Personenzahl und Dauer des Aufenthaltes eintragen. Mit der Annahme, dass
eine Person in dem Raum hochinfektiös ist, errechnet der Algorithmus
automatisch die Übertragungswahrscheinlichkeit für die vom Nutzer
eingestellten Szenarien.
Und zwar sowohl die individuelle
Ansteckungsgefahr, als auch diejenige für irgendeine Person im Raum.
Zudem kann man zwischen verschiedenen Szenarien wählen: einem
Klassenraum, einem Büro, einer Feier und einer Chorprobe. Für Experten
stehen zudem Felder zur Verfügung, in denen man Angaben wie die
Infektionsdosis, die Viruskonzentration des Infizierten und
Überlebenszeit des Virus in der Luft variieren kann. Auch die
Filtereffizienz von Gesichtsmasken oder die Luftwechselrate sind
flexibel einzustellen.
"Wir möchten einen Beitrag leisten, damit
zum Beispiel eine Schule oder ein Geschäft selbst ausrechnen kann, wie
hoch das Infektionsrisiko in den Räumen ist und wie effektiv welche
Sicherheitsmaßnahme ist," sagt Jos Lelieveld, Direktor am
Max-Planck-Institut für Chemie und Erstautor der in der Fachzeitschrift
International Journal of Environmental Research and Public Health
veröffentlichten Studie. Darin stellen die Mainzer Wissenschaftler die
Berechnungsgrundlage und die Annahmen vor, die der Rechnung zugrunde
liegen.
So atmet ein Erwachsener durchschnittlich etwa 10 Liter
Luft pro Minute ein und wieder aus. Zudem nehmen sie an, dass die
infektiöse Dosis, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren, größenordnungsmäßig
bei etwa 300 Viren bzw. RNA-Kopien pro Person liegt. Verdeutlicht wird
die Berechnung anhand einer Schulklasse, in der keine
Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden: Ein 60 Quadratmeter großer und
drei Meter hoher Klassenraum mit 25 Schülern älter als zehn Jahre und
sechs Stunden Unterricht, in dem ein Schüler zwei Tage lang
hoch-infektiös ist.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine
bestimmte Person unter diesen Umständen infiziert, liegt laut Rechnung
bei knapp 10 Prozent, die, dass sich eine beliebige Person ansteckt,
jedoch bei über 90 Prozent. Eine Ansteckung ist also nahezu
unvermeidbar. Hoch-infektiös ist eine infizierte Person in der Regel nur
wenige Tage. Von den Personen, die positiv auf das Corona-Virus
getestet wurden, sind immer etwa 20 Prozent hoch-infektiös. Sie sind
nicht zu verwechseln mit den sogenannten Superspreadern, von denen
bisher nicht bekannt ist, wie häufig sie auftreten.
Variablen machen das Modell individuell nutzbar
"Unsere
Berechnungen zeigen, dass man das Infektionsrisiko durch regelmäßiges
Stoßlüften etwa um die Hälfte, durch zusätzliches Maskentragen sogar um
einen Faktor fünf bis zehn senken kann", ergänzt Atmosphärenforscher
Lelieveld. Am Beispiel der Schulklasse heißt das: Lüftet die Klasse aus
dem Beispiel oben einmal Mal pro Stunde, reduziert sich die
Wahrscheinlichkeit auf 60 Prozent. Tragen zudem alle Schüler Masken,
sinkt das Infektionsrisiko auf etwa 24 Prozent.
Gibt man nun noch
in die Eingabemaske ein, dass nur die Hälfte der Schüler am Unterricht
teilnimmt, sinkt die Übertragungswahrscheinlichkeit auf 12 Prozent. Das
individuelle Risiko, sinkt im gleichen Fall von zehn Prozent auf ein
Prozent. Dabei ermittelt das Modell ausschließlich das Ansteckungsrisiko
über die Aerosolpartikel, die so klein sind, dass sie lange in der Luft
bleiben und sich in Räumen verteilen. Zur Gefahr, sich über größere,
schnell zu Boden fallende Tröpfchen zu infizieren, wenn man mit Trägern
des Virus über kurze Distanz spricht, lacht oder singt, erlaubt es keine
Aussagen.
In ihrer Publikation gehen die Forscher auch darauf
ein, welche Unsicherheiten es in den Berechnungen gibt. Diese liegen zum
Beispiel in Annahmen wie der Überlebensdauer der SARS-CoV-2 Viren in
der Luft oder der Virusmenge, die ein Infizierter abgibt. "Unseren
Annahmen liegt der derzeitige Stand der Wissenschaft zugrunde," sagt
Frank Helleis, Physiker am Max-Planck-Institut für Chemie. "In der
Rechnung stecken mehrere Variablen und Annahmen.
So machte es
einen Unterschied, ob und wie viel Menschen in einem Raum sprechen und
singen, wie hoch die Viruskonzentration im Speichel ist und wie die
Raumluftwechselrate ist, aber jeder Faktor geht über einen einfachen
Dreisatz in die Kalkulation ein", so Helleis, der die Rechenbasis
erstellt hat. Helleis und seine Kollegen sind überzeugt, dass ihr
Algorithmus vielen helfen kann, das Risiko von Infektionen in
Innenräumen besser zu verstehen und durch geeignete Maßnahmen zu
verringern.
Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie (MPIC) (11/2020)
Publikation: Model Calculations of Aerosol Transmission and Infection Risk of COVID-19 in Indoor Environments Jos
Lelieveld, Frank Helleis, Stephan Borrmann, Yafang Cheng, Frank
Drewnick, Gerald Haug, Thomas Klimach, Jean Sciare, Hang Su, Ulrich
Pöschl Int. J. Environ. Res. Public Health 2020, 17(21); doi.org/10.3390/ijerph17218114