Individuelle genetische Unterschiede bestimmen die Auswirkungen krebstreibender Mutationen. Zufällige genetische Veränderungen in Krebs-Genen können Tumoren auslösen. Ob diese aber tatsächlich zu Krebs führen, wird durch eine Vielzahl von Genen mitbestimmt. Dies zeigte nun ein Berliner Forschungsteam an Mäusen.
Es erscheint paradox: Es gibt Menschen, die Kette rauchen und
ein Leben lang gesund bleiben, und andere achten sehr auf ihre
Gesundheit und erkranken an Krebs. Ist es nur Zufall, ob jemand eine
bösartige Tumorerkrankung bekommt oder nicht? Nicht wirklich, denn wer
„gute Gene“ geerbt hat, könnte gesund bleiben, obwohl er oder sie
Krebsmutationen in sich trägt.
Krebsrisiko hängt von vielen Genen ab
Der
Ursprung eines jeden Tumors ist eine Mutation, ausgelöst durch Gifte,
Viren, Strahlung oder einfach nur zufällige Kopierfehler bei der
Verdopplung des Erbgutes vor jeder Zellteilung. Wenn solche
DNA-Veränderungen in Krebsgenen auftreten, also Genen, die zum Beispiel
das Wachstum oder die Teilung der Zellen regulieren, können solche
Prozesse außer Kontrolle geraten und Krebswucherungen entstehen.
Wie
sehr jedoch eine Mutation in einem Krebsgen „durchschlägt“ und
tatsächlich Tumoren verursacht, hängt maßgeblich von der Kombination der
vielen Genvarianten eines Organismus ab. Diesen „genetischen
Hintergrund“ und seine Funktion hat ein Berliner Forschungsteam des
Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik und der Charité –
Universitätsmedizin Berlin am Beispiel von Darmkrebs in Mäusen
untersucht und nun im Fachjournal Cancer Research vorgestellt. Demnach
haben über das gesamte Erbgut verteilte Gene Einfluss darauf, wie gut
die Zelle den schädlichen Effekt einer Tumormutation abfedern kann.
Durch
den Vergleich von zwei verschiedenen Stämmen von Labormäusen, die
Untersuchung einzelner Chromosomen und der Genaktivität in erkrankten
Geweben identifizierte das Forschungsteam zahlreiche Genvarianten, die
das Krebsrisiko in Mäusen beeinflussen. Darunter befinden sich Gene, die
auch beim Menschen Zellteilung und -wachstum kontrollieren und bei der
Embryonalentwicklung und der Gewebehomöostase im Darm eine wichtige
Rolle spielen. Über ein einzelnes Chromosom verteilt konnte das Team 58
Gene identifizierten, die in den beiden Mausstämmen unterschiedlich
stark abgelesen werden.
Die Studie entstand unter der Leitung von
Bernhard G. Herrmann, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare
Genetik (MPIMG) und des Instituts für medizinische Genetik an der
Charité – Universitätsmedizin Berlin, sowie Markus Morkel,
Wissenschaftler am Institut für Pathologie der Charité und vormals
Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Herrmann.
Zuchtstämme von Labormäusen sind unterschiedlich krebsanfällig
„Das
Genom jedes Menschen besteht aus einer einzigartigen Kombination von
vielen Tausend Genvarianten, die unsere individuellen Eigenschaften und
Fähigkeiten bestimmen“, sagt Herrmann. „Wir vermuteten daher, dass
Genvarianten auch die unterschiedliche Anfälligkeit für Krankheiten
beeinflussen, wie in diesem Fall die Entwicklung von Tumoren als
Reaktion auf eine tumortreibende Mutation.“
Das Team um Herrmann
und Morkel verglich für seine Studie Labormäuse des krebsanfälligen
Inzuchtstammes „Black-6“ mit denen der Zuchtlinie „PWD“. „Die Tiere
stammen von verschiedenen Unterarten der Hausmaus ab und weisen daher
tausende genetischer Unterschiede auf“, sagt Alexandra Farrall, eine der
beiden Erstautor*innen der Arbeit.
Die Forscherinnen und
Forscher untersuchten, wie die Tiere auf eine Veränderung im
Tumorsuppressor-Gen APC reagierten, die beim Menschen für 80 Prozent der
Darmkrebsfälle verantwortlich ist. Bei Mäusen und Menschen führt diese
Mutation zur Bildung von Adenomen („Polypen“), das sind
Schleimhautwucherungen im Darm, die mit der Zeit entarten können. Im
Darm der Black-6-Mäuse mit der Mutation bildeten sich im Alter von drei
Monaten mehr als hundert Adenome.
Als die Forschenden die
Black-6-Mäuse mit Tieren des PWD-Stamms kreuzten, entwickelten die
Nachkommen trotz der schädlichen APC-Mutation nur noch weniger als zehn
Polypen. „Das Genom der PWD-Mäuse war verantwortlich dafür, dass die
Mutation im APC-Gen kaum noch Tumoren auslöste“, sagt Farrall.
Viele Gene wirken im Verbund gegen Tumorbildung
Aber
welche Faktoren sorgen dafür, dass die Mäuse vor Adenombildung
geschützt sind? Um das herauszufinden, ersetzte das Forschungsteam
einzelne Chromosomen der Black-6-Mäuse durch Chromosomen aus der
PWD-Maus. „Tatsächlich reduzierte fast jedes der getesteten
PWD-Chromosomen das Krebsrisiko in den Mäusen deutlich, wenn auch nicht
so stark wie das gesamte Genom“, sagt Matthias Lienhard, der ebenfalls
Erstautor ist.
Die Forscherinnen und Forscher konzentrierten sich
anschließend auf Chromosom 5. „Abschnitte des Chromosoms, die das
Krebsrisiko statistisch signifikant vermindern, erstrecken sich über das
gesamte Chromosom“, erklärt Lienhard.
Das Expressionsniveau der
meisten dieser Gene auf Chromosom 5 blieb auch im Adenomgewebe stabil.
Dadurch können sie den durch den Verlust von APC ausgelösten
tumortreibenden Mechanismen entgegenwirken. Sie unterschieden sich auch
nicht wesentlich zwischen Eltern und deren Nachkommen, ihre Wirkung
gegen Krebs scheint also erblich zu sein.
„Die Genvarianten des
PWD-Stamms wirkten sich insbesondere auf die Stammzellen im Darm aus,
indem sie die wachstumstreibende Wirkung der APC-Mutation abschwächten,“
sagt Morkel. „Vermutlich führen sie auch dazu, dass entartete
Stammzellen schon frühzeitig vom Gewebe abgestoßen werden, sodass ein
Adenom erst gar nicht entstehen kann.“
Auch für Krebserkrankungen des Menschen relevant
Beim
Vergleich der Genvarianten des Mauschromosoms 5 mit den Genomen von
Betroffenen mit Dickdarmkrebs fanden die Forscherinnen und Forscher acht
Genvarianten, die in dieser Personengruppe stark unterrepräsentiert
sind. Das deutet darauf hin, dass diese Genvarianten beim Menschen einen
präventiven Einfluss gegen Darmkrebsbildung haben könnten.
„Wir
führen in unserer Studie den Nachweis, dass die genetische Ausstattung
eines Individuums selbst starke krebsauslösende Genveränderungen in
Schach halten kann und das individuelle Krebsrisiko maßgeblich
mitbestimmt“, sagt Herrmann.
„Einzeln haben die vielfältigen
genetischen Varianten wahrscheinlich nur geringe Effekte und wurden
vermutlich deshalb in Assoziationsstudien beim Menschen bisher nicht
entdeckt“, sagt Morkel. „In ihrer Kombination können sie aber
zusammenwirken und einen robusten Schutz vor Krebs erzeugen.“
Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler plädieren dafür, dass die
Analyse tumorschützender Mechanismen des Genoms zukünftig in der
Krebsforschung eine stärkere Rolle spielen sollte. Sie hoffen, dass ihre
Erkenntnisse neue Strategien zur Verbesserung individualisierter
Krebsvorsorge und Krebsbehandlungen ermöglichen.