Ein Team um Oliver Daumke vom MDC hat im Fachblatt „Nature Communications“ die dreidimensionale Struktur der Acetyltransferase NatC vorgestellt. Das Enzym verändert Proteine der Zelle so, dass diese ihre Funktionen richtig ausüben können. In Krebszellen allerdings ist NatC häufig überaktiv.
Oft sind es nur kleine Veränderungen, die letztendlich Großes bewirken.
Das gilt selbst für Proteine: Wird an einem Ende dieser riesigen
Moleküle lediglich ein Wasserstoffatom gegen eine Acetylgruppe
ausgetauscht, erhält das Protein durch diese bestimmte chemische
Struktur ganz neue Eigenschaften. Es kann dann zum Beispiel mit anderen
Proteinen interagieren, es verändert seine Lebenszeit oder ist plötzlich
in der Lage, ganz neue Ziele in der Zelle aufzusuchen.
Ein wichtiger Regulationsmechanismus von Zellen
Die
Acetylierung von Proteinen, wie der Austausch eines Wasserstoffatoms
durch eine Acetylgruppe genannt wird, ist somit ein wichtiger
Regulationsmechanismus von Zellen. In Gang gesetzt wird die Acetylierung
unter anderem von einer Gruppe von Enzymen, den N-terminalen
Acetyltransferasen, kurz NATs. Diese acetylieren stets das N-terminale
Ende des Proteins, also dort, wo eine Aminosäure mit einer freien
Aminogruppe sitzt.
In menschlichen Zellen gibt es eine Vielzahl
verschiedener NATs; nur von wenigen war jedoch bislang auch die
detaillierte Struktur bekannt. Den genauen Aufbau der Acetyltransferase
NatC hat nun ein Team um Professor Oliver Daumke, Leiter der
Arbeitsgruppe „Strukturbiologie Membran-assoziierter Prozesse“ am
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der
Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), zusammen mit Forschenden der Charité –
Universitätsmedizin Berlin, entschlüsselt. Die Ergebnisse der Arbeit
sind im Fachblatt „Nature Communications“ publiziert.
Im Menschen sind die meisten Proteine acetyliert
Erstautor
der Studie ist der Strukturbiologe Dr. Stephan Grunwald, ehemaliger
Doktorand und jetzt PostDoc in Daumkes Team. „Die N-terminale
Acetylierung ist eine sehr häufig vorkommende – und damit für die
vielfältigen Funktionen in der Zelle äußerst wichtige – Modifizierung
von Proteinen“, sagt Grunwald. „Im Menschen sind etwa 80 bis 90 Prozent
aller Proteine auf diese Weise verändert.“
Grunwald nutzte
Bakterien der Art Escherichia coli, in die er die drei Gene für NatC
eingeschleust hatte. „Diese Bakterien stellten für uns größere Mengen
von NatC her, die wir anschließend gereinigt, kristallisiert und dann
per Röntgenkristallographie näher untersucht haben“, berichtet Grunwald.
Bekannt war bereits, dass NatC aus einer katalytischen und zwei
Hilfs-Untereinheiten besteht. „Wie diese aber in dem NatC-Komplex
angeordnet sind und welche Funktionen sie jeweils besitzen, mussten wir
erst herausfinden“, sagt Grunwald.
Röntgenstrahlen helfen bei der Strukturaufklärung
Für
die Röntgenkristallographie ist es erforderlich, das Enzym durch
bestimmte chemische Zusätze zunächst kristallisieren zu lassen. „Man
erhält dann etwa ein Zehntel Millimeter lange Kristalle, in denen
jeweils viele Millionen der NatC-Komplexe ganz regelmäßig angeordnet
sind“, sagt Grunwald. Die Kristalle werden bei -196 Grad Celsius
schockgefroren und dann mit intensiven Röntgenstrahlen beschossen,
welche an einem Teilchenbeschleuniger – wie dem „BESSYII“ in
Berlin-Adlershof – erzeugt werden.
„Anhand des Musters, nach dem
die Strahlen gestreut werden, können wir Rückschlüsse auf die
dreidimensionale Struktur des Proteins ziehen“, erläutert Daumke. Wie er
und sein Team herausfanden, wird die katalytische Untereinheit von
NatC, an der die Acetylierung von Proteinen vorgenommen wird, von einer
kleinen und einer sehr großen Hilfseinheit umgeben. „Letztere dient als
Gerüst für das gesamte Enzym“, sagt Daumke.
Das Enzym wartet am Ende der Produktionsstraße
Darüber
hinaus konnten die Forscherinnen und Forscher der Acetyltransferase
noch weitere Geheimnisse entlocken. „Es war bereits bekannt, dass sich
NatC an die Ribosomen, die Proteinfabriken der Zelle, heftet“, berichtet
Grunwald. „Mit Hilfe von Bindungsstudien konnten wir zeigen, dass eine
positiv geladene Spitze von NatC für die Bindung an das Ribosom
notwendig ist. Dort sitzt es quasi am Ende der Produktionsstraße und
wartet darauf, dass ein neues, noch ungefaltetes Protein herausgefahren
wird.“ Anhand der ersten vier Aminosäuren des neu hergestellten Proteins
kann NatC erkennen, ob es dieses acetylieren soll oder nicht.
Das Herzstück von NatC entschlüsselt
Mit
Hilfe der Struktur konnten die Forscherinnen und Forscher sogar
herausfinden, wie das Herzstück von NatC, die katalytische Untereinheit,
im Detail schlägt. „Im katalytischen Zentrum des Enzyms haben wir
mehrfach einzelne Aminosäuren verändert“, berichtet Grunwald. Er und
seine Kolleginnen und Kollegen wissen daher jetzt ganz genau, wie es im
Herzen von NatC aussieht und nach welchem Mechanismus die Acetylierung
dort erfolgt.
Das katalytische Zentrum von NatC blockieren
Wichtig
werden könnte das eines Tages unter anderem in der Krebstherapie. „In
bestimmten entarteten Zellen ist NatC oft überaktiv“, sagt Grunwald. „Es
wäre also zumindest denkbar, Medikamente zu entwickeln, die das
katalytische Zentrum des Enzyms blockieren – und so womöglich auch das
Tumorwachstum aufhalten.“ Zunächst aber will der Strukturbiologe seine
Erkenntnisse an die Zellbiologen weiterreichen: „Nachdem wir die genaue
Struktur von NatC ermittelt haben“, sagt er, „können sie jetzt gezielt
die genauen Funktionen von NatC im menschlichen Körper herausfinden.“
Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (11/2020)
Publikation: Grunwald,
Stephan et al. (2020): “Divergent architecture of the heterotrimeric
NatC complex explains N-terminal acetylation of cognate substrates”,
Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-020-19321-8