Flüssiges Wasser bei 170 Grad Celsius |
Mit dem europäischen Röntgenlaser European XFEL hat ein Forschungsteam untersucht, wie sich Wasser unter Extrembedingungen aufheizt. Dabei konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Wasser beobachten, das selbst bei mehr als 170 Grad Celsius noch flüssig blieb. Die Untersuchung zeigt ein anomales dynamisches Verhalten von Wasser unter diesen Bedingungen. Die Ergebnisse der Studie, die in den „Proceedings“ (PNAS) der US-Akademie der Wissenschaften veröffentlicht sind, haben grundlegende Bedeutung für die Planung und Analyse von Untersuchungen empfindlicher Proben per Röntgenlaser.
European XFEL, eine internationale Forschungseinrichtung, die
sich vom DESY-Gelände in Hamburg bis ins benachbarte Schenefeld in
Schleswig-Holstein erstreckt, steht für den leistungsfähigsten
Röntgenlaser der Welt. Er kann bis zu 27 000 intensive Röntgenblitze pro
Sekunde erzeugen. Für ihre Versuche verwendeten die Forscherinnen und
Forscher Serien von jeweils 120 Blitzen. Die einzelnen Blitze hatten
dabei einen Abstand von weniger als einer millionstel Sekunde (genau
0,886 Mikrosekunden). Diese Pulszüge schickten die Wissenschaftler in
ein dünnes, wassergefülltes Quarzglasröhrchen und beobachteten die
Reaktion des Wassers. „Wir haben uns gefragt, wie lange und wie stark
sich Wasser im Röntgenlaser aufheizen lässt und ob es sich dann immer
noch wie Wasser verhält“, erläutert Hauptautor Felix Lehmkühler von
DESY. „Funktioniert es zum Beispiel auch bei hohen Temperaturen noch als
Kühlmittel?“ Ein detailliertes Verständnis von überhitztem Wasser ist
zudem von essenzieller Bedeutung für eine Vielzahl von Untersuchungen an
hitzeempfindlichen Proben, etwa Polymeren oder biologischen Proben.
„Mit
den Röntgenblitzen konnten wir das Wasser innerhalb einer
zehntausendstel Sekunde auf bis zu 172 Grad Celsius aufheizen, ohne dass
es verdampft ist“, berichtet Lehmkühler. Ein solcher Siedeverzug lässt
sich normalerweise nur bis etwa 110 Grad Celsius beobachten. „Das ist
jedoch nicht die einzige Besonderheit“, betont der Physiker. Die
Forscher untersuchten die Bewegung von Siliziumdioxid-Nanokügelchen als
Marker für die Dynamik im Wasser. „In dem extrem überhitzten Wasser
haben wir beobachtet, dass die Bewegung der Siliziumdioxid-Nanokügelchen
deutlich von der erwarteten zufälligen Brown'schen Molekularbewegung
abwich. Das deutet auf ein ungleichmäßiges Aufheizen der Probe hin“,
sagt Lehmkühler. Existierende theoretische Modelle können dieses
Verhalten noch nicht befriedigend erklären, weil sie nicht für Wasser
unter diesen extremen Bedingungen ausgelegt sind.
Dank der
schnellen Blitzfolge des European XFEL konnten die Forscherinnen und
Forscher den Ablauf sehr genau beobachten. „Mit der hohen Wiederholrate,
der Zahl der Blitze pro Sekunde, ist der European XFEL weltweit
einzigartig“, erklärt Ko-Autor Adrian Mancuso, Leiter der die
Experimentierstation SPB/SFX am European XFEL, an der die Versuche
stattgefunden haben. „Und wir haben alles vor Ort was für diese
Experimente benötigt wird – Kameras, Messgeräte und anderes.“ So kann
etwa der unter Führung von DESY entwickelte Adaptive Gain Integrating
Pixel Detector (AGIPD) rund 350 Serienbilder im Abstand von nur 220
milliardstel Sekunden (Nanosekunden) aufnehmen.
Mit diesem Aufbau
ließ sich nicht nur das extrem überhitzte Wasser erzeugen, sondern die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten auch genau
kontrollierte Versuchsreihen mit Röntgenblitzen reduzierter Intensität
durchführen. „Mit Hilfe von Siliziumscheiben als Filter haben wir die
Energie der Pulse sehr fein abgestimmt, so dass wir exakt steuern
konnten, wie stark das Wasser aufgeheizt wird“, berichtet Lehmkühler.
„So konnten wir beispielsweise bestimmen, wie stark die Röntgenblitze
sein dürfen, damit die Temperatur einer wässrigen Probe in etwa konstant
bleibt.“
Damit können Forscherinnen und Forscher etwa
Experimente mit hitzeempfindlichen Proben am Röntgenlaser besser planen.
Der Heizeffekt lässt sich andererseits auch gezielt einsetzen, wenn man
seinen genauen Verlauf kennt. Diese Effekte will das Team unter anderem
im Rahmen des Centre for Molecular Water Science (CMWS) weiter
untersuchen, das derzeit bei DESY entsteht.
„Unsere Ergebnisse
liefern nicht nur die überraschende Beobachtung einer anomalen Dynamik,
sondern zeichnen auch ein detailliertes Bild davon, wie sich wässrige
Proben im Röntgenlaser erwärmen“, fasst Forschungsleiter Gerhard Grübel
von DESY zusammen, einer der CMWS-Koordinatoren. „Zudem zeigen die
Untersuchungen, dass solche Reihenaufnahmen am European XFEL möglich und
die Blitze in jedem Pulszug extrem gleichförmig sind.“
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.desy.de/aktuelles/news_suche/index_ger.html?openDirectAnchor=1920&two_columns=1
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (09/2020)
Publikation: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202038317 |