Fledermäuse können fliegen und sich mit Hilfe von Echoortung mühelos in völliger Dunkelheit orientieren; sie überleben tödliche Krankheiten und sind erstaunlich widerstandsfähig gegenüber dem Altern und Krebs. Forschende haben nun erstmals das Erbgut von Fledermäusen nahezu vollständig entschlüsselt, das für die einzigartige Anpassung und die Superkräfte dieser Tiere verantwortlich ist.
Bat1K ist ein weltweites Konsortium von Wissenschaftlern und
Wissenschaftlerinnen, das sich der Sequenzierung des Erbguts jeder
einzelnen der 1421 lebenden Fledermausarten widmet. Nun haben diese
Wissenschaftler sechs hochpräzise Fledermausgenome erstellt und
analysiert. Diese sind zehnmal vollständiger als alle bisher
veröffentlichten Fledermausgenome. Damit bilden sie die Grundlage, um
die einzigartigen Eigenschaften von Fledermäusen zu erforschen.
„Wir
können nun besser verstehen, wie Fledermäuse Viren tolerieren, das
Altern verlangsamen und Flug und Echoortung entwickelt haben. Mit diesem
Wissen über die genetischen Eigenschaften der Fledermäuse lassen sich
möglicherweise künftig Alterungsprozesse und Krankheiten des Menschen
lindern”, sagt Emma Teeling, Hauptautorin vom University College Dublin
und Mitbegründerin von Bat1K.
Die Forschenden haben
Fledermausgenome wurden mit Hilfe neuester Technologien des
DRESDEN-concept Genome Center (DGC) entschlüsselt. Das DGC ist eine
gemeinschaftlich genutzte hochmoderne Technologieplattform in Dresden.
Das Team konnte so die DNA der Fledermaus sequenzieren und neue Methoden
entwickeln, um dann die einzelnen Teile in der richtigen Reihenfolge
zusammenzusetzen und die vorhandenen Gene zu bestimmen.
„Mit den
modernsten DNA-Sequenzierungstechnologien und neuen Computermethoden für
derartige Daten haben wir 96 bis 99 Prozent jedes Fledermausgenoms auf
Chromosomenebene rekonstruiert und das in einer noch nie dagewesenen
Qualität. Diese ist beispielsweise mit der aktuellen Qualität des
menschlichen Genoms vergleichbar – das Ergebnis von mehr als einem
Jahrzehnt intensiver Bemühungen. Daher bieten diese Fledermausgenome
eine hervorragende Grundlage für Experimente und evolutionäre Studien
der faszinierenden Fähigkeiten und physiologischen Eigenschaften dieser
Tiere“, so Eugene Myers, Hauptautor und Direktor am Max-Planck-Institut
für molekulare Zellbiologie und Genetik und am Zentrum für
Systembiologie, Dresden, Deutschland.
Verwandtschaft der Fledermäuse
Das
Team hat diese Fledermausgenome mit 42 anderen Säugetieren verglichen,
um die noch strittige Frage zu beantworten, wo Fledermäuse im Stammbaum
der Säugetiere angesiedelt sind. Mit Hilfe neuartiger Methoden und mit
umfassenden molekularen Datensätzen fand das Team heraus, dass
Fledermäuse am engsten mit einer Gruppe namens Ferungulata verwandt
sind. Dazu zählen Fleischfresser (zum Beispiel Hunde, Katzen und
Robben), Schuppentiere, Wale und Huftiere (Hufsäuger).
Um die
genomischen Veränderungen aufzuspüren, die zu den einzigartigen
Anpassungen von Fledermäusen geführt haben, hat das Team systematisch
nach genetischen Unterschieden zwischen Fledermäusen und anderen
Säugetieren gesucht. Dabei fanden die Forscher Regionen im Genom, die
sich bei Fledermäusen anders entwickelt haben. So gingen Gene im Laufe
der Evolution verloren oder es kamen neue hinzu, die die einzigartigen
Eigenschaften von Fledermäusen beeinflusst haben könnten.
„Unsere
Genom-weiten Suchen haben Veränderungen in den Genen des Gehörs
gefunden. Diese Änderungen könnten zur Echoortung beitragen. Darüber
hinaus haben wir Duplikationen von antiviralen Genen, Änderungen in
Genen des Immunsystems und den Verlust von Genen entdeckt, die
Entzündungen fördern. Diese Veränderungen könnten zu der
außergewöhnlichen Immunität von Fledermäusen und zu deren Toleranz
gegenüber Coronaviren beitragen”, erklärt Michael Hiller, Hauptautor und
Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare
Zellbiologie und Genetik in Dresden, am Max-Planck-Institut für Physik
komplexer Systeme, und am Zentrum für Systembiologie Dresden.
Hohe Virustoleranz
Das
Team fand auch Hinweise darauf, dass sich die Fähigkeit der
Fledermäuse, Viren zu tolerieren, in ihren Genomen widerspiegelt. Die
hochqualitativen Genome enthielten „fossile Virensequenzen“ von einer
großen Vielfalt an Viren. Dies zeigt, dass Fledermäuse schon in der
Vergangenheit Virusinfektionen überlebt haben.
Die hohe Qualität
der Fledermausgenome hat es dem Team erlaubt, mehrere regulatorische
Regionen im Genom eindeutig zu identifizieren und experimentell zu
bestätigen. Diese Regionen haben möglicherweise die wichtigsten
evolutionären Entwicklungen von Fledermäusen beeinflusst.
„Mit
derart vollständigen Genomen waren wir in der Lage, regulatorische
Regionen zu identifizieren, die die Aktivität von den Genen
kontrollieren, die für Fledermäuse einzigartig sind. Insbesondere
konnten wir spezifische Fledermaus-Mikro-RNAs im Labor überprüfen, um
ihre Auswirkungen auf die Genregulation zu zeigen. In der Zukunft
könnten wir diese Genome dazu nutzen, um zu verstehen, wie die
regulatorischen Regionen und die Epigenomik zu den außergewöhnlichen
Anpassungen beigetragen haben”, so Sonja Vernes, Hauptautorin und
mitbegründende Direktorin von Bat 1K, Max-Planck-Institut für
Psycholinguistik, Nijmegen, Niederlande.
Dies ist aber nur der
Anfang. Die verbleibenden rund 1400 lebenden Fledermausarten weisen eine
unglaubliche Vielfalt in Bezug auf Ökologie, Langlebigkeit,
Sinneswahrnehmung und Immunologie auf. Hinsichtlich der genetischen
Grundlage dieser spektakulären Eigenschaften sind noch zahlreiche Fragen
offen. Bat1K wird helfen diese Fragen beantworten, da immer mehr
hochqualitative Fledermausgenome generiert werden und damit die
genetische Grundlage der wunderbaren Superkräfte von Fledermäusen weiter
erforscht werden kann.
Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (07/2020)
Publikation: David
Jebb, Zixia Huang, Martin Pippel, Graham M. Hughes, Ksenia
Lavrichenko,Paolo Devanna, Sylke Winkler, Lars S. Jermiin, Emilia C.
Skirmuntt, Aris Katzourakis,Lucy Burkitt-Gray, David A. Ray, Kevin A. M.
Sullivan, Juliana G. Roscito,Bogdan M. Kirilenko, Liliana M. Dávalos,
Angelique P. Corthals, Megan L. Power,Gareth Jones, Roger D. Ransome,
Dina K. N. Dechmann, Andrea G. Locatelli,Sébastien J. Puechmaille,
Olivier Fedrigo, Erich D. Jarvis, Michael Hiller,Sonja C. Vernes, Eugene
W. Myers & Emma C. Teeling Six reference-quality genomes reveal evolution of bat adaptations Nature, 22 June 2020