Wie Proteine die Außenhülle von Bakterienzellen regulieren
Wie alle Zellen haben Bakterien eine Membran, die sie wie eine Haut nach außen abschirmt. Sie ist nicht statisch, sondern muss einerseits sowohl Substanzen hinein- und herauslassen und andererseits beweglich sein, damit die Bakterienzellen wachsen können. Um diese Eigenschaften umzusetzen, sind verschiedene Arten von Proteinen in Zellen aktiv, unter anderem die sogenannten Flotilline. Diese Proteine sind von Bakterien bis zum Menschen in Zellen vorhanden. Bislang nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, dass diese Flotilline vor allem bei der Bildung anderer funktioneller Proteinkomplexe helfen und hochgeordnete Bereiche der Zellmembran eingrenzen.
Ein Team aus internationalen Forschenden unter Beteiligung der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) fand nun Hinweise auf eine
mögliche andere Funktion der Flotilline: Gemeinsam mit Kolleginnen und
Kollegen unter anderem von den Universitäten Groningen und Bordeaux
konnten die Kieler Forschenden zeigen, dass sie offenbar einen direkten
Einfluss auf die Struktur der Zellmembran haben und diese unter
bestimmten Bedingungen flüssiger machen können. Ihre Erkenntnisse
veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestern im
renommierten Wissenschaftsjournal eLife. Flotilline funktionieren möglicherweise anders als bisher angenommen
Alle
lebenden Zellen müssen von einer trennenden Barriere umgeben sein, die
sie einerseits von ihrer Umgebung abschirmt und die andererseits
durchlässig für verschiedene molekulare Substanzen ist. Verschiedene
Proteine sind notwendig, um diese Zellmembranen auszubilden und sie mit
ihren Funktionen auszustatten. Bisher nahmen Forschende an, dass die
sogenannten Flotillinproteine dazu dienen, zur Bildung der dazu
notwendigen funktionellen Proteinkomplexe beizutragen – zum Beispiel
indem sie bestimmte Bereiche der Membran abgrenzen. Die nun vorlegte
Arbeit aus Professor Marc Bramkamps Arbeitsgruppe Mikrobielle Biochemie
und Zellbiologie am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU
widerspricht nun dieser Auffassung: „Gemeinsam mit einer Gruppe
internationaler Kolleginnen und Kollegen haben wir Hinweise gefunden,
dass die Flotillin-Proteine möglicherweise eine ganz andere Funktion
übernehmen. Offenbar regulieren sie die Fluidität von
Bakterienmembranen, können sie gewissermaßen flüssiger machen und so
ihre Eigenschaften verändern“, betont Bramkamp. Diese Vermutung könnte
auch den Effekt erklären, den Flotilline auf den Bau der Zellwand haben:
Bausteine für die Zellwand werden im Inneren der Zellen produziert und
müssen anschließend nach außen „geschwenkt“ werden, was in einer
flüssigeren Membran einfacher gelingt. Zudem fährt die
Proteinmaschinerie, die die Zellwand synthetisiert, dynamisch durch die
Zellmembran und diese Bewegung ist bei Abwesenheit der Flotilline
deutlich reduziert, so dass keine korrekte Zellwand ausgebildet wird.
Ohne Flotilline keine stabile Form
Das
Kieler Forschungsteam entwickelte die neue Hypothese unter anderem mit
den internationalen Kolleginnen und Kollegen auf Grundlage von
Experimenten mit dem stäbchenförmigen Bakterium Bacillus subtilis. Diese
zeigten, dass schnell wachsende Zellen in Abwesenheit von Flotillinen
ihre typische äußere Form nicht ausbilden können. Gaben die Forschenden
jedoch eine chemische Substanz zur Verflüssigung der Membranen hinzu,
behielten die Bakterien ihre Form auch ohne Flotillin-Proteine. „Wir
vermuten daher, dass sie einen physikalischen Effekt in den
Bakterienzellen übernehmen", betont Abigail Savietto, Doktorandin in
Bramkamps Gruppe an der CAU. „Die Flotilline scheinen also dazu
beizutragen, dass die Membran die geeignete physikalische Struktur
aufweist, damit Membrangebundene Prozesse richtig funktionieren“, so
Savietto weiter.
In weiteren Forschungsarbeiten wollen die
Forschenden herausfinden, worin genau der Zusammenhang der
Flotillin-Proteine mit der Membran-Fluidität besteht. Ein Ansatz könnte
in der Untersuchung der sogenannten Phospholipid-Zusammensetzung liegen.
Diese Lipide sind an der Bildung vieler verschiedener Biomembrane
beteiligt. Möglicherweise können die Flotillin-Proteine bestimmte, die
Fluidität verringernde Phospholipide binden und so die gesamte
Flüssigkeit der Zellmembran erhöhen. Die neue Hypothese des Kieler
Forschungsteams birgt damit vielversprechende Perspektiven auch für die
Anwendung: So könnte es künftig gelingen, die physikalischen
Eigenschaften der bakteriellen Zellmembranen durch die Störung der
Flotillin-Funktion gezielt zu beeinflussen. „Meine Arbeitsgruppe
arbeitet seit vielen Jahren an der Funktion der Flotilline und wir
wissen, dass Zellen mit veränderter Membranfluidität viel empfindlicher
gegenüber herkömmlichen Antibiotika sind. Möglicherweise könnte man den
Mechanismus nutzen, um zum Beispiel die Membran von Bakterienzellen
gezielt so verändern, dass diese einfacher durch Antibiotika abgetötet
werden können“, blickt Bramkamp voraus.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (07/2020)
Publikation: Aleksandra
Zielin?ska, Abigail Savietto, Anabela de Sousa Borges, Denis Martinez,
Melanie Berbon, Joe?l R. Roelofsen, Alwin M. Hartman, Rinse de Boer, Ida
J. van der Klei, Anna K. H. Hirsch, Birgit Habenstein, Marc Bramkamp,
Dirk-Jan Scheffers (2020): Flotillin mediated membrane fluidity controls
peptidoglycan synthesis and MreB movement. eLife First Published: 14 July 2020 https://doi.org/10.7554/eLife.57179