Proteine steuern als eines der wichtigsten Biomoleküle das Leben - als Enzyme, Rezeptoren, Signal- oder Strukturmoleküle. Forscher am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie haben zum ersten Mal die Proteome von 100 verschiedenen Organismen entschlüsselt. Die ausgewählten Organismen stammen aus allen drei Domänen des Lebens: der Bakterien, der Archaeen oder der Eukaryoten. Mithilfe der Massenspektrometrie wurden 340.000 verschiedene Proteine gemessen. Verwandte, in der Evolution erhaltene Proteine können nun erstmals mengenmäßig miteinander verglichen werden. Die Ergebnisse wurden in Nature veröffentlicht.
Was haben die Hausmaus Mus Musculus, der in thermalen Quellen lebende
Organismus Haloferax Mediterranei und das Darmbakterium Escherischia
coli gemeinsam? Nichts sollte man meinen, denn diese drei Lebewesen sind
in ihrer evolutionären Abstammung weit voneinander entfernt. Sie
gehören jeweils zu einer der drei unterschiedlichen Domänen, die höchste
Klassifizierungskategorie der Lebewesen: der Eukaryoten, der Archaeen
oder der Bakterien. Alle drei Organismen nutzen bestimmte, ähnliche,
Biomoleküle, Proteine, die für ihr Überleben wichtig sind.
Um
neue Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Organismen zu entdecken, haben
Forscher vom MPI für Biochemie, in Zusammenarbeit mit
Forschungseinrichtungen aus München und Kopenhagen, neben diesen drei
Organismen, das Proteom, von insgesamt 100 Organismen aus allen Domänen
des Lebens analysiert. Das Proteom ist die Gesamtheit der Proteine
einer Zelle oder eines Lebewesens.
Johannes Müller, einer der
beiden Erstautoren der Studie erklärt: „Die evolutionäre Verwandtschaft
wird heutzutage anhand der Ähnlichkeit von bestimmten Genabschnitten
analysiert. Gene, sind die Bauanleitung für Proteine. Mit der aktuellen
Studie haben wir die verschieden Genprodukte, die Proteine angeschaut.
Wir können jetzt herausfinden, ob die einzelnen Organismen nicht nur die
Bauanleitung der Proteine in sich tragen, sondern diese auch
herstellen.“
Proteinanalyse
Matthias Mann, Leiter
der Abteilung „Proteomics und Signaltransduktion“ und sein Team sind
Experten für die Proteinanalyse. Mithilfe des Hochdurchsatzverfahrens
der Massenspektrometrie, können bekannte und unbekannte Proteine
identifiziert und ihrer Menge bestimmt werden. Bioinformatische
Verfahren erlauben anschließend die Analyse und die Integration von
zusätzlichen Informationen aus wissenschaftlichen Datenbanken.
Durch
die Quantifizierung der gemessenen Proteine können Homologe, also
evolutionäre verwandte Proteine, zwischen den Organismen verglichen
werden. Die Daten erlauben es den Forschern grundlegende Fragen zu
beantworten, wie beispielsweise: Worin investieren Lebewesen über alle
Domänen hinweg am meisten ihrer Ressourcen? Verwandte, in der Evolution
konservierte Proteine können nun erstmals mengenmäßig miteinander
verglichen werden.
In keiner vorherigen Proteomics-Studie wurden
so viele Proteine detektiert und quantifiziert. Es wurden 2 Millionen
individuelle Peptide von insgesamt 340.000 Proteinen gemessen. Peptide
sind Teilstücke von Proteinen. Die detektierten Proteinabschnitte wurden
mithilfe von Datenbanken bekannter und vorhergesagter Genprodukte
Proteinen zugeordnet und mit anderen bekannten Datenbankinformationen
verknüpft. Dies führte zu einer unglaublichen Datensammlung von 8
Millionen Datenpunkten mit 53 Millionen Verbindungen. Neue Erkenntnisse
„Wir
konnten die Existenz von angenommenen, aber nie bestätigten Proteinen
beweisen. Viele Proteine waren bisher nur als Vorhersage, anhand der
bekannten Gensequenz, geläufig. 93% der von uns gemessenen Proteine
waren bislang noch nicht experimentell bestätigt“, erklärt Johannes
Müller.
Es war schon bekannt, dass es Gene gibt, die über alle
Domänen hinweg sehr ähnlich sind. Dazu gehören die Gene von
Proteinfaltungshelfern, der Proteinherstellungsmaschinerie oder des
Energiestoffwechsels. Mithilfe der Studie konnten die Forscher jetzt
zeigen, dass die dazugehörige Proteine in allen Organismen in hoher
Konzentration hergestellt werden. Johannes Müller erläutert: „Es ist
nachvollziehbar, dass beispielsweise die Proteinfaltungshelfer alle
Organismen überlebenswichtig sind und deshalb über alle Domänen hinweg
vorkommen. Damit Proteine ihre spezifische Funktion ausführen können,
müssen diese in eine sehr individuelle dreidimensionale Form gefaltet
werden. Dabei helfen die Faltungshelfer. Ein Rezeptorprotein kann, zum
Beispiel, nur dann funktionieren, wenn er die richtige Form hat, um ein
Signalmolekül zu binden.“
Aus dem jetzt zur Verfügung gestellten
Rohdatensatz kann die Forschungsgemeinschaft in Zukunft noch viele
weitere Erkenntnisse gewinnen. Matthias Mann fasst zusammen: „Wir
stellen der Öffentlichkeit eine bisher nicht dagewesene Ressource an
proteomischen Daten zur Verfügung um das biologische Wissen zu
vermehren. Bildlich gesprochen: Mit den Proteomdaten der 100
verschiedenen Organismen haben wir neues molekulares Detailwissen
generiert. Wie auf 100 Landkarten können wir nun in viele Teilbereiche
hineinzoomen und neue Zusammenhänge entdecken und die Daten miteinander
vergleichen. Sowohl für jeden Proteinforscher, der seine zu
untersuchenden Proteine in anderen Organismen überprüfen will, als auch
der Bioinformatiker, der von unseren Rohdaten bis zu unseren
systembiologischen Erkenntnissen profitieren, sind diese Ergebnisse eine
Ressource von unschätzbarem Wert. Unter der großen Menge an noch nicht
charakterisierten Proteinen befinden sich bestimmt noch viele, die
besonders wichtig für das Leben sind und somit für die Medizin von
Interesse sein könnten und für die Biotechnologie um die ‚Grüne Chemie‘
zu vorran zu treiben.“ Die Daten der Studie können online unter der
neuen Webseite www.proteomesoflife.org. abgerufen werden.
Quelle: Max-Planck-Institut für Biochemie (06/2020)
Publikation: J.B.
Müller*, P.E. Geyer*, A.R. Colaço, P. V. Treit, M. T. Strauss, S. Doll,
S. Virreira Winter, J. Bader, N. Köhler, F. Theis, A. Santos, M. Mann:
The Proteome Landscape of the Kingdoms of Life, Nature, Juni 2020 * geteilte Erstautorenschaft DOI: 10.1038/s41586-020-2402-x