Neandertalergene in der Petrischale |
Protokolle zur Umwandlung von pluripotenten Stammzellen (iPSC) in Organoide, Mini-Organe, ermöglichen es Forschern Entwicklungsprozesse in verschiedenen Organen zu untersuchen und den Zusammenhang zwischen Genen und der Herausbildung von Gewebe zu entschlüsseln – insbesondere bei Organen, bei denen kein Primärgewebe zur Verfügung steht. Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Universität Basel nutzen diese Technologie um die Effekte der Neandertaler-DNA in heutigen Menschen zu untersuchen.
„Die Verwendung von iPSC-Linien zur Untersuchung der Funktionen
archaischer DNA in heutigen Menschen ist ein größtenteils noch
unerschlossener, aber sehr interessanter Ansatz“, sagt Letztautor J.
Gray Camp vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in
Leipzig und der Universität Basel in der Schweiz. „Niemand war bisher in
der Lage, die Rolle der Neandertaler-DNA während der Entwicklung zu
untersuchen.“
Etwa zwei Prozent der Genome moderner Menschen, die außerhalb Afrikas
leben, bestehen aus Neandertaler-DNA. Diese archaische DNA ist ein
Ergebnis der Vermischung beider Gruppen vor zehntausenden von Jahren.
In
der neuen Studie nutzte das Team Ressourcen der Human Induced
Pluripotent Stem Cells Initiative (HipSci), einem internationalen
Konsortium, das Daten und Zelllinien für die Forschung bereitstellt.
Nahezu alle Daten und Zelllinien in HipSci stammen von Menschen
britischer und nordeuropäischer Abstammung. Die Forscher analysierten
diese Zelllinien auf ihren Gehalt an Neandertaler-DNA und annotierten
funktionelle Neandertaler-Varianten für jede der Zelllinien.
„Einige
Neandertaler-Allele kommen in dieser Population relativ häufig vor“,
erklärt Camp. „Daher enthält diese iPSC-Ressource bestimmte Gene, die
homozygot für Neandertaler-Allele sind, darunter Gene, die mit Haut- und
Haarfarbe assoziiert sind und bei Europäern sehr häufig vorkommen.“
Camps
Team wandelte vier Zelllinien in zerebrale Organoide um, Mini-Versionen
von menschlichen Gehirnen in ihren frühen Entwicklungsstadien, und
sequenzierte einzelne Zellen dieser Organoide um ihre Zusammensetzung zu
untersuchen. Sie zeigten, dass die transkriptomischen Daten verwendet
werden konnten, um die vom Neandertaler stammende RNA über
Entwicklungsprozesse hinweg zu verfolgen. „Diese Studie liefert den
Nachweis dafür, dass man mithilfe dieser Ressourcen die Aktivität der
Neandertaler-DNA in einem Entwicklungsprozess untersuchen kann“, sagt
Camp. „Die wirkliche Herausforderung wird darin bestehen, die Anzahl der
Linien pro Experiment zu erhöhen, aber das wird bereits jetzt möglich."
Camp
merkt an, dass diese Forschung auf die Untersuchung anderer alter
menschlicher Populationen, einschließlich der Denisovaner, ausgedehnt
werden könnte, deren Gene heute hauptsächlich in ozeanischen
Populationen vorkommen. Sein Team plant auch, die Untersuchung von
Neandertaler-Allelen mit Hilfe von HipSci und anderen Ressourcen
fortzusetzen. „Anhand von Organoiden können eine Reihe verschiedener
Entwicklungsprozesse und Phänotypen untersucht werden, die von der
Neandertaler-DNA kontrolliert werden, darunter Darmtrakt und Verdauung,
Kognition und neuronale Funktion sowie die Immunantwort auf
Krankheitserreger“, so Camp.
Im Neandertal Stem Cell Resource
Browser (https://bioinf.eva.mpg.de/stemcellbrowser) machen die Forscher
ihre Daten der Wissenschaftsgemeinschaft für die zukünftige Forschung
zugänglich.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.eva.mpg.de/german/presse/aktuelles.html#c44851
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (06/2020)
Publikation: Dannemann et al. Human stem cell resources are an inroad to Neandertal DNA functions Stem Cell Reports, 18 June 2020, https://doi.org/10.1016/j.stemcr.2020.05.018 |