Neuer Hinweis auf Zusammenhang zwischen Alzheimer und Diabetes
Krankhaft verklumpte Eiweiße sind für eine ganze Reihe von Erkrankungen charakteristisch, unter anderem Alzheimer, Parkinson und der verbreitete Typ-2-Diabetes. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Universität Maastricht haben mittels Kryo-Elektronenmikroskopie nun erstmals ein scharfes Bild davon erhalten, wie sich einzelne Moleküle in den Proteinfäden anordnen, aus denen die Diabetes-typischen Ablagerungen bestehen. Die Struktur der Fasern in den sogenannten Fibrillen erinnert stark an die von Alzheimer-Fibrillen. Das Ergebnis steht im Einklang mit weiteren Gemeinsamkeiten, die Forscher in den letzten Jahren herausgefunden haben.
Bereits vor etwa 120 Jahren entdeckte der US-amerikanische Arzt Eugene
Lindsay Opie in der Bauchspeicheldrüse von Patienten mit Typ-2-Diabetes
auffällige Eiweißablagerungen, ähnlich wie sie auch im Gehirn bei
zahlreichen neurodegenerativen Krankheiten zu finden sind.
Typ-2-Diabetes ist eine der am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten,
und auch unter dem Begriff „Alterszucker“ bekannt. Die Ablagerungen,
genannt „Insel-Amyloid“, enthalten winzige Eiweißfäden. Diese werden
auch als Fibrillen bezeichnet. Bei Diabetes bestehen sie aus dem
Peptidhormon IAPP. In der Bauchspeicheldrüse tragen sie zum Absterben
und zur Fehlfunktion der sogenannten Beta-Zellen bei, die für die
Insulinproduktion zuständig sind. Das Hormon spielt bei der Senkung des
Blutzuckers eine wichtige Rolle.
„Diese Amyloid-Fibrillen werden
seit vielen Jahren intensiv erforscht. Lange Zeit konnte man aber nur
auf sehr niedrig aufgelöste Strukturen zurückgreifen“, erklärt Gunnar
Schröder vom Forschungszentrums Jülich und der
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. 2017 hat er gemeinsam mit
Partnern und Kollegen eines der ersten atomgenauen 3D-Modelle einer
solchen Fibrille überhaupt vorgestellt: in diesem Fall einer
Alzheimer-Fibrille, die aus dem Peptid Amyloid-beta (Abeta) besteht.
„Nun
haben wir zum ersten Mal eine IAPP-Fibrille, wie sie für Diabetes
typisch ist, in vergleichbarer Auflösung in 3D rekonstruiert“, so Gunnar
Schröder. Die erzielte Auflösung von 4 Angström, oder 0,4 Nanometer
liegt in der Größenordnung von Atomradien und Atombindungslängen. Neben
weiteren Details wird so erstmals die genaue Anordnung der Moleküle in
den Fibrillen sichtbar. Das Modell zeigt, wie sich einzelne
IAPP-Moleküle zu Fasern mit einem S-förmigen Querschnitt übereinander
schichten. Die Struktur ähnelt der S-förmigen Faltung in
Abeta-Fibrillen, die für Alzheimer typisch sind.
„Die Ähnlichkeit
ist interessant. Zwischen Alzheimer und Diabetes gibt es einen
epidemiologischen Zusammenhang: Alzheimer-Patienten haben ein größeres
Risiko an Diabetes zu erkranken und umgekehrt“, erläutert Wolfgang
Hoyer, der ebenfalls an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und am
Forschungszentrum Jülich forscht. Daneben gibt es weitere Verbindungen.
So haben Wissenschaftler in den Amyloid-Ablagerungen von
Alzheimer-Patienten bereits kleine Beimischungen von „fremden“
Diabetes-typischen IAPP-Peptiden nachgewiesen. Zudem wachsen nach Zugabe
von Fibrillen der jeweils einen Art vermehrt auch Ablagerungen der
anderen Art, wie Forscher in Versuchen mit Mäusen herausgefunden haben.
Mit
dem neuen, hochaufgelösten Fibrillen-Modell gibt es nun eine neue
Basis, um die Bildung der Fibrillen bei Diabetes besser zu verstehen und
Medikamente zu entwickeln, die direkt an der Ursache der Erkrankung
ansetzen. „Es lassen sich nun beispielsweise ganz gezielt Inhibitoren
entwickeln, die die Ausbildung dieser Fibrillen unterdrücken“, erklärt
Wolfgang Hoyer. Schon seit einigen Jahren forscht er an entsprechenden
neuartigen Bindeproteinen. Diese verhindern, dass sich einzelne Moleküle
zu Amyloid verbinden, und so möglicherweise den Ausbruch von Diabetes,
Alzheimer und Parkinson verzögern oder sogar aufhalten können. Ein
anderer Ansatz sei die Entwicklung von Ersatzstoffen für das Peptid
IAPP, die nicht zur Fibrillenbildung neigen. IAPP übernimmt unter
anderem die Funktion eines Sättigungshormons im Körper. Die Ersatzstoffe
sind daher nicht nur für die Therapie von Typ-2-Diabetes, sondern auch
zur Behandlung verschiedener weiterer Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes
und krankhafte Fettleibigkeit interessant.
Hintergrund Kryo-Elektronenmikroskopie
Die
Kryo-Elektronenmikroskopie ist eine immer noch relativ junge
Forschungsmethode zur atomgenauen Bestimmung der Struktur von
Biomolekülen. Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson
wurden 2017 für die Entwicklung des Verfahrens mit dem Chemie-Nobelpreis
geehrt.
Die Methode erfüllt ähnliche Aufgaben wie die schon
länger etablierten Verfahren der Röntgenkristallografie und der
NMR-Spektroskopie. Bei der Röntgenkristallografie müssen Biomoleküle wie
Proteine, die DNA oder Bakterien und Viren erst in Kristallform
gebracht werden. Die Kryo-Elektronenmikroskopie und die
NMR-Spektroskopie ermöglichen es dagegen, Eiweißbausteine in ihrer
natürlichen Form im gelösten Zustand zu untersuchen. Im Falle der
Kryo-Elektronenmikroskopie werden die in Wasser gelösten Proben
schockgefroren und anschließend mit einem Elektronenmikroskop
untersucht. Die Methode bietet insbesondere dann Vorteile, wenn es um
die Erforschung größerer Strukturen aus Hunderten oder Tausenden
Proteinen geht.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e. V. / Forschungszentrum Jülich (06/2020)
Publikation: Cryo-EM structure of islet amyloid polypeptide fibrils reveals similarities with amyloid-? fibrils Christine
Röder, Tatsiana Kupreichyk, Lothar Gremer, Luisa U. Schäfer, Karunakar
R. Pothula, Raimond B. G. Ravelli, Dieter Willbold, Wolfgang Hoyer,
Gunnar F. Schröder Nature Structural & Molecular Biology, DOI: 10.1038/s41594-020-0442-4 https://www.doi.org/10.1038/s41594-020-0442-4