Forschungsteam findet Genvarianten für schweren Verlauf von Covid-19
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel haben in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen in der weltweit ersten großangelegten genomweiten Studie Genvarianten gefunden, die den Verlauf von Covid-19 deutlich beeinflussen – eine davon betrifft das Gen für die Blutgruppeneigenschaft. Die Untersuchung hatte gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 tragen als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit Typ-0-Blutgruppe hingegen waren um knapp 50 Prozent besser vor einer ernsten Covid-19-Erkrankung geschützt.
Die Blutgruppe könnte Einfluss auf die Stärke der Covid-19-Symptome haben
Warum
erkranken manche Menschen schwer an Covid-19, während andere kaum
Symptome zeigen? Eine Antwort darauf könnte in ihren unterschiedlichen
Blutgruppen liegen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des
Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben in Zusammenarbeit
mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen in der weltweit ersten
großangelegten genomweiten Studie Genvarianten gefunden, die den Verlauf
der Krankheit deutlich beeinflussen – eine davon betrifft das Gen für
die Blutgruppeneigenschaft. Federführend bei dem aufsehenerregenden
Projekt sind Prof. Dr. Andre Franke, Direktor des Instituts für
Klinische Molekularbiologie (IKMB) und Vorstandsmitglied des
Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ sowie die
Erstautoren Prof. Dr. David Ellinghaus und Frauke Degenhardt, die beide
ebenfalls im IKMB tätig sind. Die Studie wird in Kürze in der
Online-Ausgabe des hochrangigen „New England Journal of Medicine“
veröffentlicht werden.
Bereits am 2. Juni ist die Publikation in
einem sogenannten Online-Preprint-Archiv zugänglich gemacht worden, noch
bevor sie den üblichen Begutachtungsprozess der Fachzeitschriften
durchlaufen hat. Seither ist weltweit darüber berichtet worden. Die
Untersuchung hatte gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein um
etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19
tragen als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit
Typ-0-Blutgruppe hingegen waren um knapp 50 Prozent besser vor einer
ernsten Covid-19-Erkrankung geschützt. Die Untersuchung bestätigte damit
– erstmals durch eine umfassende genomweite Analyse – zwei frühere
Studien internationaler Forscherinnen und Forscher, die anhand des
Blutserums von Covid-19-Patienten bereits einen möglichen Zusammenhang
zwischen der Blutgruppeneigenschaft und der Erkrankung beschrieben
hatten. Eine Analyse der amerikanischen Firma 23andMe validierte die
Ergebnisse der Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer
unabhängigen Patientenkohorte.
Für die Studiengruppe um den
Molekularbiologen Prof. Franke und den norwegischen Internisten Prof.
Dr. Tom Karlsen haben Ärztinnen und Ärzte mehrerer Krankenhäuser der
Corona-Epizentren in Norditalien und Spanien Blutproben ihrer
Covid-19-Patienten nach Kiel gesandt - insgesamt Proben von 1.980
Intensivpatientinnen und -patienten, die mit Sauerstoff behandelt oder
an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten. Für die
Kontrollgruppe wurden aus der Bevölkerung dieser Länder 2.205 zufällig
ausgewählte Frauen und Männer gewonnen. Innerhalb von nur drei Wochen
wurde im Institut für Klinische Molekularbiologie in Kiel die DNA aus
den Blutproben isoliert und aus jeder Einzelnen 8,5 Millionen Positionen
des Erbguts mit sogenannten Biochips (SNP-Arrays) vermessen. „Mithilfe
dieser großen Datenmenge haben wir wirklich interessante Regionen im
Genom identifiziert, die das Risiko für einen schweren Verlauf von
Covid-19 erhöhen beziehungsweise verringern“, sagt Prof. Ellinghaus, der
die bioinformatischen und statistischen Analysen durchführte. „Wir
konnten, vereinfacht gesprochen, auf einer sehr großen Landkarte zeigen,
wo die Musik spielt.“ Insgesamt dauerte die Studie weniger als zwei
Monate. „Dieses Tempo war nur möglich, weil alle im Kieler Team an jedem
Tag der Woche hart an dem Projekt gearbeitet haben – wir wollten etwas
zurückgeben für das Vertrauen, das uns die klinischen Partner und
Patienten in Spanien und Italien entgegengebracht haben“, sagt die
Biostatistikerin Frauke Degenhardt.
Neben der signifikanten
Auffälligkeit im AB0-Blutgruppen-Lokus, dem Genort, durch den die
individuelle Blutgruppe bestimmt wird, fanden die Forscherinnen und
Forscher eine noch höhere Effektstärke für eine genetische Variante auf
dem Chromosom 3. Welches der mehreren Kandidatengene, die dort
lokalisiert sind, dafür verantwortlich ist, ist derzeit nicht genau zu
ermitteln, allerdings konnte die Analyse nachweisen, dass Anlageträger
einem zweifach erhöhtem Risiko ausgesetzt sind, schwer an Covid-19 zu
erkranken, als Menschen, die diese Variante nicht tragen. Unter den
italienischen und spanischen Patientinnen und Patienten, die so krank
waren, dass sie nicht nur mit Sauerstoff versorgt, sondern an ein
Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten, trug eine besonders hohe
Zahl diese genetische Anlage. Ein Resultat, das sich ebenso für die
Verteilung der Blutgruppen zeigte: Unter den besonders schwer Erkrankten
fanden sich auch besonders viele Menschen mit Blutgruppe A.
„Die
Ergebnisse waren für uns sehr spannend und überraschend“, sagt Prof.
Franke. Gerade die Region auf Chromosom 3 war zuvor noch nicht von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Covid-19 in Zusammenhang
gebracht worden. In anderen Regionen im Genom, für die ein Effekt auf
die Erkrankung vermutet worden war, zeigten sich hingegen keine
statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den gesunden Probanden
und den Patienten; so weder in jenem Chromosomenabschnitt 6p21, der mit
dem Immunsystem und vielen Infektionserkrankungen assoziiert ist, noch
in dem Gen IFITM3, das mit der Influenza in Zusammenhang gebracht wird.
„Mit
dem Chromosom 3 und dem AB0-Blutgruppen-Lokus beschreiben wir echte
Ursachen für einen schweren Verlauf von Covid-19“, sagt Prof. Franke.
„Unsere Ergebnisse schaffen daher eine hervorragende Grundlage für die
Entwicklung von Wirkstoffen, die an den gefundenen Kandidatengenen
ansetzen können. Eine klinische Studie, in der etwa ein Medikament
getestet wird, hat erwiesenermaßen doppelt so häufig Erfolg, wenn eine
genetische Evidenz für das Target bereits vorliegt.“ Auch könnten die
Resultate zu einer verbesserten Risikoabschätzung für einen schweren
Verlauf von Covid-19 bei Patienten beitragen.