Mit mehr als 3 Milliarden Basenpaaren erstreckt sich das menschliche Genom im Kern jeder Zelle auf eine Länge von zwei Metern. Wie Zellen diese riesigen Mengen an genetischem Material in einem mikrometergroßen Zellkern organisieren, ohne dass es zum Verknoten kommt, war lange Zeit ein Rätsel. Die Bildung von DNA-Schleifen durch ringförmige Proteinkomplexe wurde als ein Mechanismus vorgeschlagen, der das Genom in allen Organismen räumlich organisiert. Es fehlte jedoch bisher ein direkter Beweis für die Existenz dieser DNA Schleifen in einem lebenden System. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) und des MPI für Physik komplexer Systeme, beide in Dresden, haben nun zum ersten Mal die Bildung von DNA-Schleifen in einem lebenden Kontext beobachtet. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.
Die Gesamtlänge aller DNA-Moleküle in den Zellen eines menschlichen Körpers würde dem Durchmesser unseres Sonnensystems, etwa 10 Milliarden Kilometer, entsprechen. Damit Organismen sich korrekt entwickeln und ein Leben lang gesund bleiben, muss das genetische Material im Inneren des Zellkerns ohne Knoten und Verschlingungen räumlich organisiert werden. Diese Aufgabe ähnelt dem Versuch, ein etwa 100 Kilometer langes und sehr dünnes Haar ohne Knoten in einem Fußball zu verpacken. Wie Zellen diese komplizierte organisatorische Aufgabe bewerkstelligen, war bisher ein Rätsel. In den letzten zehn Jahren wurde ein Modell erarbeitet, das dieses Problem zu lösen scheint.
In dem Modell geht man davon aus, dass ringförmige Proteinkomplexe an
DNA binden und diese aktiv durch den Ring in eine Schleife ziehen
können. Diese Schleifen verhindern Knoten und Verschlingungen und tragen
gleichzeitig zur Genregulation bei, was wichtig für die Entwicklung und
Gesundheit eines Organismus ist. Computersimulationen dieses
„DNA-Schleifen-Modells“ konnten viele Beobachtungen aus Experimenten
nachbilden. Zusätzlich konnte kürzlich die Bildung von DNA-Schleifen
durch künstlich erzeugte ringförmige Proteinkomplexe auf einzelnen
DNA-Molekülen beobachtet werden. Es fehlte jedoch ein direkter Beweis
dafür, dass DNA Schleifen tatsächlich natürlich gebildet werden, um die
DNA im lebenden System räumlich organisieren.
Wissenschaftler aus
der Forschungsgruppe von Jan Brugués am MPI-CBG und am MPI-PKS haben
eine neue Methode entwickelt, mit der sie die Bildung von DNA-Schleifen
zum ersten Mal in einem lebenden Kontext beobachten konnten. Es gelang
ihnen, die Komplexität des Zellkerns zu reduzieren, indem sie kleine
DNA-Stücke entnahmen und diese im Zytoplasma (dem lebendigen, flüssigen
Inhalt der Zellen) aus Eiern des Afrikanischen Krallenfrosches (Xenopus
laevis) ausstreckten. Stefan Golfier, der Erstautor der Studie, erklärt:
„Mithilfe von Totalreflexions-Fluoreszenzmikroskopie (TIRF), einer
hervorragenden Methode zur Beobachtung einzelner Moleküle, konnten wir
zeigen, dass Cohesin und Condensin, die ringförmigen Proteinkomplexe,
welche natürlich im Zytoplasma vorkommen, DNA tatsächlich in Schleifen
organisieren. Dieser Prozess findet sowohl während des Zellwachstums
(der Interphase), als auch der Zellteilung (Metaphase) statt.“ Er fährt
fort: „Faszinierenderweise unterscheiden sich sowohl der Mechanismus,
als auch die verantwortlichen Motoren, welche die DNA-Schleifen während
dieser Phasen des Zellzyklus bilden. In Interphase, wenn das Genom offen
in Kompartimenten organisiert ist, welche die Genaktivität regulieren,
zieht der Cohesin-Ringkomplex die DNA von beiden Seiten durch den Ring
in eine Schleife. In der Metaphase hingegen, in der das Genom zu
Chromosomen verdichtet ist, werden die Schleifen durch Condensin
gebildet, welches im Gegensatz zu Cohesin, DNA nur von einer Seite durch
den Ring in eine Schleife zieht.“
Dr. Jan Brugués, der die
Studie leitete, fasst zusammen: „Unsere Beobachtungen liefern den ersten
direkten Nachweis und die erste biophysikalische Charakterisierung der
natürlichen DNA-Schleifenbildung als Mechanismus zur räumlichen
Organisation der DNA im Zytoplasma eines höheren Wirbeltiers. Da die
dafür zuständigen Proteinkomplexe, von Bakterien bis zum Menschen
speziesübergreifend konserviert sind, deuten unsere Ergebnisse darauf
hin, dass die Bildung von DNA-Schleifen ein genereller Mechanismus zur
Organisation des Genoms in allen Lebensformen der Erde sein könnte.“
Weiter bemerkt er: „Ein Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen,
wie das Genom gefaltet ist, wird dazu beitragen, Krankheiten besser zu
verstehen und behandeln zu können. Dabei geht es insbesondere um
Erkrankungen, die mit Veränderungen in der Architektur des Genoms
einhergehen, wie Entwicklungsdefekte und Krebs.“ Das von den Forschern
entwickelte Verfahren könnte auch dabei helfen, die Funktionsweise des
Genoms besser zu verstehen, da es erlaubt dessen Komplexität Schritt für
Schritt aufzubauen.
Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (06/2020)
Publikation: Stefan
Golfier, Thomas Quail, Hiroshi Kimura, Jan Brugués “Cohesin and
condensin extrude DNA loops in a cell-cycle dependent manner” eLife, 12.
Mai 2020. Doi: 10.7554/eLife.53885