Atome streicheln für Fortgeschrittene |
Wie kann man Oberflächen möglichst sanft und zerstörungsfrei auf atomarer Skala abbilden? An der TU Wien verwendet man ein einzelnes Sauerstoffatom als Fühler.
Sauerstoff ist höchst reaktiv, er lagert sich an vielen Oberflächen an und bestimmt dadurch auch ihr chemisches Verhalten. An der TU Wien studiert man die Wechselwirkung zwischen Sauerstoff und Metalloxid-Oberflächen, die für viele technische Anwendungen eine wichtige Rolle spielen – von chemischen Sensoren über Katalysatoren bis hin zur Elektronik.
Allerdings ist es extrem schwierig, die Sauerstoffatome auf der Metalloxid-Oberfläche zu untersuchen, ohne sie dabei zu verändern. An der TU Wien gelang das nun mit einem speziellen Trick: An der äußersten Spitze eines Rasterkraftmikroskops wird ein einzelnes Sauerstoffatom befestigt und sanft über die Oberfläche geführt. Die Kraft zwischen Oberfläche und Sauerstoffatom wird gemessen - und so lässt sich ein Bild mit extrem hoher Auflösung anfertigen. Die Resultate wurden nun im Fachjournal PNAS publiziert.
Sauerstoff ist nicht gleich Sauerstoff
„In den letzten
Jahren wurde viel daran geforscht, wie sich Sauerstoff an
Metalloxid-Oberflächen anlagert“, sagt Martin Setvin vom Institut für
Angewandte Physik der TU Wien. „Handelt es sich um O2-Moleküle? Oder
werden die Moleküle in einzelne Sauerstoffatome zerlegt? Oder bildet
sich vielleicht das sogenannte Tetraoxygen, ein Komplex aus vier Atomen?
Solche Fragen sind wichtig, um chemische Reaktionen an der
Metalloxid-Oberfläche zu verstehen.“
Leider ist es nicht einfach,
ein Bild von diesen Atomen aufzunehmen. Oft werden
Rastertunnelmikroskope eingesetzt, um Oberflächen Atom für Atom
abzubilden. Dabei führt man eine feine Spitze in minimalem Abstand über
die Probe, sodass einzelne Elektronen zwischen Probe und Spitze
überwechseln können. Gemessen wird der elektrische Strom, der dabei
fließt. Diese Methode lässt sich in diesem Fall allerdings nicht
einsetzen – die Sauerstoffmoleküle würden elektrisch aufgeladen werden
und dadurch ihr Verhalten völlig verändern.
Daher verwendete man
stattdessen ein Rasterkraftmikroskop. Auch hier lässt man eine dünne
Spitze über die Oberfläche wandern, doch in diesem Fall fließt kein
Strom, gemessen wird hingegen die Kraft, die zwischen Spitze und
Oberfläche wirkt. Entscheidend war ein besonderer Trick – die
Funktionalisierung der Spitze: „Ein einzelnes Sauerstoffatom wird
zunächst von der Spitze des Rasterkraftmikroskops erfasst und dann mit
der Spitze über die Oberfläche bewegt“, erklärt Igor Sokolovi?. Das
Sauerstoffatom dient somit als hochsensible Sonde, um Punkt für Punkt
die Oberfläche zu untersuchen. Weil dabei kein Strom fließt und das
Sauerstoffatom nie ganz in Kontakt mit der Oberfläche kommt, ist diese
Methode extrem sanft und verändert die Atome auf der
Metalloxid-Oberfläche nicht. So kann man die Geometrie der
Sauerstoff-Anlagerungen auf dem Metalloxid genau untersuchen.
Vielseitig einsetzbare Methode
„Dieses
Funktionalisieren der Spitze, indem man ein ganz bestimmtes Atom
daraufsetzt, wurde in den letzten Jahren entwickelt, wir zeigen nun
erstmals, wie erfolgreich die Methode bei Metalloxid-Oberflächen sein
kann“, sagt Setvin. Es zeigt sich, dass die Sauerstoffmoleküle auf
unterschiedliche Weisen am Metalloxid angelagert werden können –
entweder auf den Titan-Atomen der Oberfläche, oder an bestimmten
Stellen, an denen im Titanoxid ein Sauerstoffatom fehlt. Je nach
Temperatur kann es dann zu einem Aufspalten der Sauerstoffmoleküle in
zwei einzelne Sauerstoffatome kommen. Tetraoxygen, ein hypothetischer
Komplex aus vier Sauerstoffatomen, wurde hingegen nicht gefunden.
„Die
Titanoxid-Oberflächen, die wir auf diese Weise untersuchen, sind ein
prototypischer Fall, um die Methode genau zu testen“, erklärt Martin
Setvin. „Aber die Erkenntnisse, die wir daraus gewinnen, gelten
natürlich auch für viele andere Materialien.“ Die Mikroskopie mit
funktionalisierter Spitze in einem Rasterkraftmikroskop ist eine
vielseitige Methode, um zerstörungsfrei und ohne elektronische
Veränderung eine Oberflächenstruktur mit atomarer Auflösung abzubilden.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.tuwien.at/tu-wien/aktuelles/news/news/atome-streicheln-fuer-fortgeschrittene/
Quelle: Technische Universität Wien (06/2020)
Publikation: M.
Setvin et al., "Resolving the adsorption of molecular O2 on the rutile
TiO2(110) surface by non-contact atomic force microscopy," PNAS (2020) |