Chemiker können einheitliche Chiralität gezielt herbeiführen
Die Chiralität ist eine fundamentale Eigenschaft von vielen organischen Molekülen. Sie besagt, dass chemische Verbindungen nicht nur in einer, sondern zwei spiegelbildlichen Formen vorliegen können. Chemiker der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben nun einen Weg gefunden, die Chiralität in kristallinen, flüssig-kristallinen und flüssigen Stoffen spontan, ohne einen äußeren lenkenden Einfluss, herbeizuführen. Die Erkenntnisse könnten für die Entwicklung neuer Wirkstoffe und für die Materialwissenschaften von Bedeutung sein. Die Studie erschien kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift "Chemical Science" der Royal Society of Chemistry.
Die Chiralität ist eine Eigenschaft von nahezu allen Molekülen, die in der Natur zu finden sind: "Moleküle sind räumliche Anordnungen von miteinander verknüpften Atomen. Für viele Moleküle gibt es aber nicht nur eine Form, die sie einnehmen können, sondern mindestens zwei", erklärt der Chemiker Prof. Dr. Carsten Tschierske von der MLU. Sind diese Formen spiegelbildlich zueinander, spricht man von Chiralität.
Bei normalen chemischen Reaktionen im Labor entstehen beide
spiegelbildlichen Formen in gleichen Mengen. "In der Natur ist das
anders: Kohlenhydrate, Aminosäuren und Nukleinsäuren haben jeweils nur
eine dominante Form", so Tschierske. Und das aus gutem Grund: Die
Nukleinsäuren, zum Beispiel, sind die Informationsträger unseres
Erbguts, der DNA. Schon kleinste Änderungen des Erbguts können zu
folgenschweren Krankheiten führen. "Wenn es nun für jede Nukleinsäure
zwei Formen geben würde, wäre der Aufbau unserer DNA chaotisch, weil es
zu viele Variationsmöglichkeiten geben würde. Das Leben, wie wir es
kennen, wäre unmöglich", so Tschierske.
Der genaue Prozess, wie
sich die einheitliche Chiralität dieser Moleküle einst ausgebildet hat,
ist noch nicht bekannt. Weiterhin ging man lange davon aus, dass eine
Trennung von Gemischen spiegelbildlicher Moleküle nur in kristallinen
Stoffen spontan erfolgen kann. Im Jahr 2014 konnte das Team von
Tschierske in einer Studie in "Nature Chemistry" aber zeigen, dass
dieses Phänomen der chiralen Spaltung auch in Flüssigkeiten beobachtet
werden kann. "Das ist wichtig, denn die Ursprünge des Lebens sind in
flüssigen wässrigen Systemen zu finden ", so der Chemiker. Für die neue
Studie ist sein Team noch einen Schritt weiter gegangen: Die Forscher
haben einen Weg gefunden, mit dem sich die Chiralität nicht nur in
Flüssigkeiten erzeugen, sondern auch ohne Verlust in flüssig-kristalline
und kristalline Stoffe gezielt übertragen lässt. Hierfür nutzten die
Wissenschaftler Benzil, ein Molekül, das normaler Weise achiral ist,
also keine Spiegelbild-Form hat, sich aber so verdrehen kann, dass es
chiral wird. "Von Benzil war bereits bekannt, dass es in einheitlich
chiraler form kristallisieren kann", sagt Tschierske. Durch
Modifizierung dieses Moleküls gelang es den Forschern, die Moleküle auch
im flüssigen Zustand spontan einheitlich chiral werden zu lassen - und
diesen Zustand bei Umwandlungen stabil beizubehalten. "Vermutlich tragen
unsere neuen Erkenntnisse zum Verständnis der Herausbildung der
einheitlichen Biochiralität bei. Gleichzeitig kann unser Ansatz auch für
die Synthese chiraler Moleküle und Materialien genutzt werden, ohne
dass man dafür teure chirale Ausgangsstoffe braucht", fasst Tschierske
zusammen.
Die hallesche Studie trägt zum Verständnis bei, wie
sich die einheitliche Biochiralität vor Millionen von Jahren entwickelt
haben könnte. Gleichzeitig liefert sie neue Erkenntnisse dafür, wie sich
Chiralität spontan erzeugen lässt. Der Anwendungsbereich hierfür ist
groß: So werden etwa chirale Substanzen als Wirkstoffe in der Medizin
eingesetzt und die Erkenntnisse lassen sich womöglich auch für
verschiedenste Materialien nutzen, die zum Beispiel in der optischen
Informationsverarbeitung zum Einsatz kommen können.