Der gebrochene Spiegel: Erstmals Messung der Paritätsverletzung in Molekülen möglich? |
Seit langem versuchen Wissenschaftler, eine bestimmte Symmetrie-Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung - die Paritätsverletzung - in Molekülen experimentell nachzuweisen. Bisher ist dies nicht gelungen. Eine neue interdisziplinäre Arbeit unter Federführung einer Forschungsgruppe am Exzellenzcluster PRISMA? der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und dem Helmholtz-Institut Mainz (HIM) zeigt nun einen realistischen Weg zum erstmaligen Nachweis dieses Phänomens auf. Der Ansatz, der Aspekte der Kern-, Elementarteilchen-, Atom- und Molekülphysik sowie der kernmagnetischen Resonanz (NMR) einbezieht, ist in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Physical Review Research veröffentlicht.
Symmetrien sind allgegenwärtig - im Weltall genau wie in der Welt der Moleküle, Atome und Elementarteilchen. Auch die vier fundamentalen Kräfte gehorchen bestimmten, wenn auch mitunter recht abstrakten Symmetrien. Auf dem Weg vom Urknall bis heute wurden bestehende Symmetrien immer wieder gebrochen. Symmetrie und Symmetriebrechung spiegeln sich in den Prozessen und Zuständen, die wir beobachten können mehr oder weniger offensichtlich wider.
Eine dieser Symmetrien ist die Spiegelsymmetrie - wird sie gebrochen,
sprechen die Forscher von einer Paritätsverletzung. Unter den vier
Grundkräften ist nach heutigem Wissen die schwache Wechselwirkung die
einzige, die nicht spiegelsymmetrisch wirkt: Nur bei Prozessen, die
dieser Wechselwirkung unterliegen, treten Paritätsverletzungen auf. „Da
die schwache Wechselwirkung in unserer Alltagserfahrung so gut wie keine
Rolle spielt - hier dominieren die Gravitation und die
elektromagnetische Kraft - widerspricht das Phänomen der
Paritätsverletzung unserer normalen Vorstellung und ist daher nur schwer
begreifbar“, so Dr. John Blanchard, Erstautor der aktuellen Studie.
„Die Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung wurde daher auch
erst in den 50er Jahren theoretisch vorhergesagt und kurz darauf bei
bestimmten Kern- und Elementarteilchenzerfällen entdeckt. In Molekülen
wurden paritätsverletzende Prozesse bisher noch nie nachgewiesen,
gleichwohl theoretische Berechnungen sie auch dort vorhersagen. Der
Nachweis solch subtiler Effekte ist sozusagen ein heiliger Gral der
physikalischen Präzisionsmessungen.“
Moleküle sind in vielerlei
Hinsicht interessant, um Auswirkungen der Paritätsverletzung
experimentell zu beobachten und viele Versuche hierzu wurden
unternommen. Ein Beispiel ist die Wechselwirkung der Spins verschiedener
Atomkerne in einem Molekül. Diese wiederum können prinzipiell mit
Methoden der Kernspinresonanz (NMR) detektiert und analysiert werden.
Während die Wissenschaftler in einer früheren Arbeit bereits einen
erfolgversprechenden Ansatz für chirale Moleküle entwickelt haben (https://doi.org/10.1103/PhysRevA.96.042119),
nehmen sie in ihrer aktuellen Veröffentlichung einfache Moleküle in den
Blick, die aus zwei Atomen bestehen. Dabei identifizieren sie zunächst
eine spezielle NMR-Messgröße (eine bestimmte Spin-Spin-Kopplung), anhand
derer sich die Paritätsverletzung zeigt, führen für diese komplexe
theoretische Analysen durch und berechnen so den zu erwartenden Effekt
innerhalb des Moleküls. Diese Berechnungen erfolgten in intensiver
Zusammenarbeit mit dem Mitautor der Studie Prof. Dr. Mikhail G. Kozlov
vom Nuclear Physics Institute in Sankt Petersburg, mit dem die Mainzer
Gruppe schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich zusammenarbeitet.
Darauf
aufbauend schlagen die Wissenschaftler ein spezielles Experiment vor,
dass empfindlich genug sein sollte, um die berechneten Signale zu
detektieren: „Die so genannte ZULF (zero to ultra low field) NMR Methode
ist eine exotische Technik, die wir auch schon bei der Suche nach
dunkler Materie erfolgreich eingesetzt haben“, erläutert Prof. Dr.
Dmitry Bukder, ebenfalls Autor der Studie. „Sie bietet ein System, bei
dem Kernspins stärker miteinander interagieren als mit einem externen
Magnetfeld. Auf diese Weise ermöglicht sie die direkte Messung
antisymmetrischer Spin-Spin-Kopplungen, die in konventionellen
Hochfeld-NMR-Experimenten abgeschnitten werden.“
„Unsere
Ergebnisse zeigen einen eleganten Weg hin zu einer quantitativen
Untersuchung der schwachen Wechselwirkung in Molekülen und den
Atomkernen auf“, resümiert John Blanchard. „Um die Paritätsverletzung in
Molekülen experimentell nachweisen zu können, sind die Resultate
unserer Machbarkeitsstudie sehr vielversprechend.“
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11482_DEU_HTML.php
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz (06/2020)
Publikation: John
W. Blanchard, Jonathan P. King, Tobias F. Sjolander, Mikhail G. Kozlov,
Dmitry Budker Molecular parity nonconservation in nuclear spin
couplings Physical Review Research (Vol. 2, No. 2 - 023258, 01 June 2020) DOI: 10.1103/PhysRevResearch.2.023258 https://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevResearch.2.023258 |