Eine der modernsten pharmakologischen Waffen gegen den Herzinfarkt ist der Wirkstoff Ticagrelor. Wissenschaftler des Pharmazentrums der Universität Bonn konnten nun aufklären, wie die Substanz genau wirkt. Die Resultate weisen möglicherweise den Weg zu neuen Ticagrelor-Varianten mit weniger Nebenwirkungen. Die Studie erscheint in Kürze im Journal of Thrombosis and Haemostasis; sie ist aber bereits online abrufbar.
Ticagrelor verhindert, dass Blutplättchen miteinander verklumpen. Derartige Blutgerinnsel können ansonsten lebenswichtige Gefäße verschließen. Mögliche Folgen: Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ticagrelor wird daher oft Herzkranken zur Infarktprophylaxe verabreicht. Das Verklumpen der Blutplättchen wird unter anderem durch das Membranprotein P2Y12 gesteuert. Man wusste bereits, dass Ticagrelor an P2Y12 bindet. Auf welche Weise, war aber bislang unklar.
Die Forscher der Universität Bonn konnten diese Frage nun mit ihrer Studie beantworten. P2Y12 ist ein Rezeptor, also eine Art Antenne, die Signale aus der Umgebung der Zelle empfängt und dann bestimmte Reaktionen in Gang setzt. Das Signal, auf das P2Y12 normalerweise reagiert, ist ein Molekül namens ADP: Sobald ADP an den Rezeptor andockt, beginnen die Blutplättchen zu verklumpen.
„Wir konnten nun zeigen, dass ADP und Ticagrelor an überlappenden Bereichen von P2Y12 binden“, erklärt Professor Dr. Ivar von Kügelgen vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Bonn. „Ticagrelor besetzt also die ADP-Bindungsstelle und blockiert sie. Der Ticagrelor-beladene Rezeptor löst zudem keine Gerinnungsreaktion aus.“
Hoffnung auf bessere Gerinnungshemmer
Die Wissenschaftler konnten im P2Y12-Rezeptor eine Aminosäure identifizieren, die für die Bindung von Ticagrelor enorm wichtig ist. Dieser Erfolg könnte es nun erleichtern, den Wirkstoff zu modifizieren und zu verbessern. Dabei hilft auch der Computer. Denn der Rechner kann in Sekundenschnelle tausende von Varianten durchspielen. Dabei sucht er gezielt nach Ticagrelor-Modifikationen, die theoretisch noch besser an die Schlüsselaminosäuren andocken können. Denn Ticagrelor ist keineswegs perfekt: Es kann beispielsweise Atemstörungen hervorrufen. Durch gezielte Modifikation, so die Hoffnung, lassen sich diese Nebenwirkungen vielleicht mindern oder abstellen.
Schon jetzt setzen Mediziner große Hoffnung in Ticagrelor. Denn das erst vor wenigen Jahren entwickelte Medikament bietet bedeutende Vorteile: Es muss nicht gespritzt werden, sondern lässt sich schlucken. Und seine Wirkung ist reversibel – wenn es zu Blutungen kommt, kann man die Ticagrelor-Gabe einfach stoppen und damit die Gerinnung der Blutplättchen wieder in Gang setzen.
Infarktrisiko sinkt
Vor allem aber hemmt Ticagrelor den P2Y12-Rezeptor direkt. Andere Substanzen werden in inaktiver Form verabreicht und erst in der Leber in das eigentliche Medikament umgewandelt. Da diese Umwandlung bei manchen Patienten besser klappt als bei anderen, ist die Wirkung schlecht kalkulierbar. Bei jedem vierten Patienten hatten die „alten“ P2Y12-Hemmstoffe laut einer klinischen Studie sogar gar keinen Effekt. „Ticagrelor ist in dieser Hinsicht ein deutlicher Fortschritt“, betont Professor von Kügelgen. Für Menschen mit einer Herzerkrankung ist das eine gute Nachricht: Studien zufolge kann Ticagrelor bei ihnen die Infarktrate gegenüber den althergebrachten Wirkstoffen noch einmal messbar senken.
Publikation: Kristina Hoffmann, Dominique A. Lutz, Jens Straßburger, Younis Baqi, Christa E. Müller und Ivar von Kügelgen: Competitive mode and site of interaction of ticagrelor at the human platelet P2Y12-receptor; Journal of Thrombosis and Haemostasis (DOI: 10.1111/jth.12719)
Stellen Sie sich vor, Sie wollten anhand eines einzelnen Fotos von der Vorderseite eines Hauses herausfinden, wie das Gebäude von hinten aussieht, ob es irgendwelche Anbauten oder Schäden am Mauerwerk gibt und wie der Keller aufgeteilt ist. Unmöglich? Nicht in der Nanowelt. Wissenschaftler aus Jülich und Xian haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich Kristallstrukturen in allen drei Dimensionen atomgenau rekonstruieren lassen. Sie verwendeten für dieses Kunststück allerdings nicht das Bild einer einfachen Digitalkamera, sondern die Aufnahme eines ultrahoch auflösenden Elektronenmikroskops. Das Verfahren eignet sich insbesondere auch, um strahlungsempfindliche Proben vollständig räumlich zu erfassen, die durch den energiereichen Messstrahl rasch zerstört werden. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Materials erschienen (DOI: 10.1038/nmat4087).
Bei Nanoteilchen bestimmt die Oberfläche die physikalischen und technischen Eigenschaften weit mehr als bei anderen Stoffen. Die Effizienz von Katalysatoren etwa hängt stark von der Form des verwendeten Materials und seiner Oberflächenbeschaffenheit ab. Physiker und Materialforscher sind deshalb daran interessiert, den Aufbau von Nanomaterialien von allen Seiten und über mehrere Lagen hinweg atomgenau bestimmen zu können. Bisher wurden dafür ganze Untersuchungsreihen aus unterschiedlichen Perspektiven benötigt. Doch Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich, des Ernst Ruska-Centrums für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen (ER-C) sowie der chinesischen Xian Jiaotong Universität haben es nun zum ersten Mal geschafft, die räumliche Anordnung der Atome ausgehend von einer einzigen elektronenmikroskopischen Aufnahme zu errechnen.
Ihre Methode bietet große Vorteile: Mit ihr können auch strahlungsempfindliche Proben untersucht werden, die durch den energiereichen Elektronenstrahl der Mikroskope rasch zerstört werden. Die vergleichsweise kurze Aufnahmedauer könnte es künftig sogar ermöglichen, kurzlebige Zwischenschritte chemischer Reaktionen zu beobachten. Darüber hinaus erlaubt es das „sanfte“ Messverfahren, nicht nur schwere, sondern auch leichte chemische Elemente nachzuweisen -- etwa Sauerstoff, der in vielen technologisch bedeutsamen Materialien eine wichtige Funktion innehat.
"Dreidimensionale Informationen aus einer einzigen, zweidimensionalen Aufnahme zu gewinnen, scheint auf den ersten Blick unmöglich. Doch es ist möglich, weil wir keine simple zweidimensionale Projektion der dreidimensionalen Probe erhalten, sondern das Experiment quantenmechanischen Regeln folgt", erläutert Prof. Chunlin Jia, der am Jülicher Peter Grünberg Institut, Bereich Mikrostrukturforschung (PGI-5), am ER-C wie auch an der Jiaotong Universität forscht. „Auf dem Weg durch das Kristallgitter fungiert die Elektronenwelle des Mikroskops als hochempfindlicher Detektor für Atome und wird von jedem einzelnen Atom beeinflusst. Entscheidend ist, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, ob die Wellenfront zu Beginn oder am Ende ihres Wegs durch den Kristall auf ein Atom trifft.“
Für das neue 3D-Messverfahren wird die dünne kristalline Probe – in diesem Fall Magnesiumoxid – so im Mikroskop positioniert, dass die Atome an den Knotenpunkten des Kristallgitters genau übereinander liegen und Säulen entlang der Beobachtungsachse bilden. Diese Atomsäulen sind später nur als helle Punkte auf der mikroskopischen Aufnahme sichtbar. Ein spezieller Abbildungsmodus verbessert noch das Signal-Hintergrund-Verhältnis. So werden feine Unterschiede sichtbar, die den Forschern verraten, wo sich die einzelnen Atome in den Säulen entlang der Strahlrichtung befinden.
Für die Rekonstruktion der räumlichen Struktur vergleichen die Wissenschaftler die Aufnahme mit Berechnungen am Computer. Die Computersimulationen vermitteln einen Eindruck, wie eine mikroskopische Abbildung eines perfekten flachen Magnesiumkristalloxids aussehen würde. Anschließend passen sie den Modell-Kristall Schritt für Schritt an, bis die errechnete Abbildung mit der elektronenmikroskopischen Aufnahme optimal übereinstimmt.
Um die Eindeutigkeit der erhaltenen Ergebnisse zu belegen, haben die Wissenschaftler umfangreiche statistische Tests durchgeführt. Diese ergaben auch, dass die Methode nicht nur empfindlich genug ist, um jedes einzelne Atom nachzuweisen, sondern auch zwischen den beiden Elementen des Kristalls, Magnesium und Sauerstoff, unterscheiden kann.
Publikation: Determination of the 3D shape of a nanoscale crystal with atomic resolution from a single image; C. L. Jia, S. B. Mi, J. Barthel, D. W. Wang, R. E. Dunin-Borkowski, K. W. Urban, A. Thust; Nature Materials Advance Online Publication (AOP) 21.9.2014, DOI: 10.1038/nmat4087
Zum Wachsen brauchen Pflanzen Stickstoff und Kohlenstoff. Dank der Photosynthese beziehen Pflanzen letzteren aus der Luft, doch Stickstoff müssen sie in Form von organischen Molekülen wie Ammoniak oder Harnstoff über die Wurzeln aufnehmen. Auch wenn Stickstoff 80 Prozent des Volumens der Erdatmosphäre ausmacht, kann die Pflanze erst in gebundener Form darauf zugreifen. In der Landwirtschaft wird deswegen Dünger verwendet, der Stickstoff für Pflanzen bereitstellt. Die einzigen Lebewesen, die Stickstoff aus der Luft in nutzbare Moleküle umwandeln können, sind Mikroorganismen – zum Beispiel Knöllchenbakterien. Sie besitzen das Enzym Nitrogenase, das den Stickstoff mit Wasserstoff zu Ammonium verbindet. Prof. Dr. Oliver Einsle und Dr. Thomas Spatzal haben nicht nur die Funktionsweise des Enzyms weiter aufgeklärt, sondern auch einen einzigartigen Mechanismus beschrieben, mit dem es Kohlenwasserstoffe produziert.
„Wir wollen die Reaktionen in der Nitrogenase verstehen, um sie in Zukunft biotechnologisch nutzbar zu machen. Derzeit kann die Hälfte der Menschheit nur mit dem Einsatz von Düngemitteln in der Landwirtschaft ernährt werden. Das verbraucht etwa ein Prozent der Weltenergieproduktion“, erklärt Einsle. Die Forscher zeigten zum ersten Mal, wie Nitrogenase Kohlenstoff mit Wasserstoff verbindet. Dabei entstehen Moleküle, die Biotreibstoffen ähneln. „Somit wird das Enzym auch für die nachhaltige Energieproduktion interessant“, so Einsle. Einsle erforscht die Feinstruktur des Herzstücks des Enzyms: ein großes Metallzentrum namens Eisen-Molybdän-Cofaktor (FeMoco). Einsle, Spatzal, und Prof. Dr. Douglas Rees Pasadena/USA erstellten eine Kristallstruktur, die zeigt, wie ein Kohlenmonoxid-Molekül (CO) an FeMoco bindet. „Dort verdrängt es unerwarteter Weise ein Schwefelatom, das vorher die gleiche Position in dem Metallzentrum besetzt hatte. Damit ergeben sich erstmals Rückschlüsse darauf, wie das Zentrum mit anderen Molekülen reagiert“, beschreibt Einsle die Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Science erscheinen.
„Eine derartige chemische Umlagerung wurde in einem biologischen System nie zuvor beobachtet“, erklärt Einsle weiter. Seit 2010 ist bekannt, dass CO die Nitrogenase hemmt und dass das Enzym das Gas in geringem Maße in Kohlenwasserstoffe umwandelt. Indem die Forscher das Enzym während der Stickstoffreaktion mit CO begasten, fanden sie eine Bindestelle für CO und konnten die Umlagerung dokumentieren. Neben dem sogenannten „Haber-Bosch-Prozess der Stickstofffixierung“ fördert die Nitrogenase somit auch eine Reaktion, die der „Fischer-Tropsch-Synthese von Kohlenwasserstoffen“ entspricht, mit der großtechnisch Treibstoffe zum Beispiel aus Industrieabgasen nachhaltig synthetisiert werden können. „Die neue Strukturanalyse beschreibt erstmals den Mechanismus dieser ungewöhnlichen Reaktivität“, so Einsle.
Quelle: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (09/2014)
Publikation: Thomas Spatzal, Kathryn A. Perez, Oliver Einsle, James B. Howard, Douglas C. Rees (2014) Ligand binding to the FeMo-cofactor: Structures of CO-bound and reactivated nitrogenase. Science DOI: 10.1126/science.1256679 www.sciencemag.org/content/345/6204/1620.full
Reflektionszonenplatten aus dem HZB ermöglichen effizient den präzisen Nachweis von leichten Elementen in Materialproben unter dem Rasterelektronenmikroskop, indem sie hohe Auflösung im Energiebereich von 50 – 1120 eV bieten.
Die Rasterelektronenmikroskopie wird nicht nur genutzt, um Probenoberflächen genau zu vermessen, sondern auch um ihre chemische Zusammensetzung zu bestimmen. Dafür regt der Elektronenstrahl beim Abtasten der Probe die Atome zu Fluoreszenz an. Diese Strahlung gibt Auskunft über Ort und Art des Elements, sofern sie präzise analysiert werden kann. Doch gerade die leichten Elemente des Periodensystems geben Strahlung in einem Energiebereich ab, der mit energiedispersiven Spektrometern (EDS) nicht hinreichend gut aufgelöst werden kann. Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff und Stickstoff spielen in Energiematerialien aber auch funktionalen Materialien eine wichtige Rolle.
Eine Lösung kommt nun aus dem HZB: Dort hatte Prof. Dr. Alexei Erko, der das Institut für Nanometeroptik und Technologie leitet, bereits vor einiger Zeit neuartige Optiken aus sogenannten Reflektionszonenplatten entwickelt und patentieren lassen. Sie bestehen aus tausenden von konzentrischen oder elliptischen Strukturen und werden inzwischen an Synchrotronquellen wie BESSY II bei der Analyse der Röntgenstrahlung im niedrigen Energiebereich eingesetzt. Strahlung wird durch diese Optiken nicht gebrochen wie etwa an einer Glaslinse, sondern gebeugt, so dass Interferenzen entstehen.
„Unsere Kollegen vom IfG-Institute for Scientific Instruments GmbH hatten mich gefragt, ob sich eine Reflektionszonenplatten-Optik nicht auch an einem Elektronenmikroskop nutzen ließe, um dort die Auflösung im niedrigen Energiebereich zu steigern. Auf dieser Grundlage wurden im Institut für angewandte Photonik e. V. ein FuE-Projekt und in der IfG GmbH ein Anschlussprojekt durchgeführt; als Ergebnis konnte nun ein Funktionsmuster eines speziellen wellenlängendispersiven Spektrometers (WDS) realisiert werden, mit dessen Hilfe am Elektronenmikroskop auch die leichten Elemente sehr präzise nachweisbar sind, zum Beispiel Lithium, Bor und Beryllium aber auch Kohlenstoff und Sauerstoff“, erklärt Erko.
Das Spektrometer besteht aus einer Anordnung von 17 Reflektionszonenplatten und deckt den Energiebereich von 50 eV bis 1120 eV ab. Um eine noch höhere Auflösung zu erreichen, stellten die Wissenschaftler eine Optik aus 200 Reflektionszonenplatten her, die im Energiebereich von 100-1000 eV quasi-kontinuierliche Spektralmessungen liefert.
„Hohe Auflösungen in diesem Energiebereich sind wichtig, um die leichteren Elemente des Periodensystems nachweisen zu können. Das ist insbesondere für die Forschung an Energiematerialien wie Solarzellen, Batterien, Solaren Brennstoffen und Katalysatoren interessant. Es könnte aber auch für die Forschung an magnetischen Materialien und in den Lebenswissenschaften nützlich sein. Wir sind gespannt, für welche Fragestellungen dieses neue Werkzeug nun verwendet wird“, sagt Erko.
Zum ersten Mal ist es gelungen, ein kohlenstoffhaltiges Molekül mit "verzweigter" Struktur im interstellaren Raum nachzuweisen. Dieses Molekül, iso-Propylcyanid, wurde in Sgr B2 gefunden, einer Sternentstehungsregion in unmittelbarer Nähe zum Zentrum unserer Milchstraße, bevorzugtes Revier für Astronomen auf der Jagd nach neuen Molekülen. Diese Struktur der Kohlenstoffatome unterscheidet es von allen anderen bisher im interstellaren Raum gefundenen Molekülen. Die Entdeckung von iso-Propylcyanid erweitert die Grenzen der Chemie von Sternentstehungsgebieten und ist ein Indiz für die Existenz von Aminosäuren, bei denen eine solch verzweigte Struktur eine Schlüsselgröße darstellt.
Es wurden bereits eine ganze Reihe von unterschiedlichen Molekülen im Weltraum entdeckt. Dabei treten wasserstoffreiche und kohlenstoffhaltige (organische) Moleküle, wie sie für die Existenz von Leben auf der Erde unverzichtbar sind, bevorzugt in Gaswolken auf, in denen neue Sterne entstehen. „Es ist sehr wichtig für uns, zu verstehen, wie organische Moleküle sich bereits in frühen Phasen der Sternentstehung in diesen Gaswolken bilden“, sagt Arnaud Belloche vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie, der Erstautor der Veröffentlichung. „Damit sind wir in der Lage, die einzelnen Phasen von der Entstehung von einfachen Molekülen zu möglicherweise Leben tragender Chemie zusammenzufügen.“
Die Suche nach Molekülen im interstellaren Raum hat bereits in den 1960er Jahren begonnen und bisher wurden ca. 180 unterschiedliche Moleküle gefunden. Jedes Molekül sendet Strahlung bei ganz bestimmten unterschiedlichen Wellenlängen und hat damit ein jeweils charakteristisches Muster oder Spektrum. Dieses Spektrum stellt somit eine Art Fingerabdruck dar, über den das Molekül durch Beobachtungen mit Radioteleskopen im Weltall identifiziert werden kann.
Bis jetzt hatten alle organischen Moleküle, die in Sternentstehungsregionen entdeckt werden konnten, etwas gemeinsam: sie setzen sich jeweils aus einem „Rückgrat“ von Kohlenstoffatomen zusammen, die entlang einer mehr oder weniger geraden Kette angeordnet sind. Das neu gefundene Molekül iso-Propylcyanid ist insofern einzigartig, als das die Anordnung seiner Kohlenstoffatome eine Verzweigung mit einem zusätzlichen Ast aufweist. „Es ist das erste Mal überhaupt, dass solch ein Molekül mit verzweigtem Rückgrat aus Kohlenstoff im interstellaren Raum gefunden werden konnte“, sagt Holger Müller, ein Spektroskopiker an der Universität zu Köln und Ko-Autor der Veröffentlichung, der den spektralen Fingerabdruck des Moleküls im Labor vermessen hat, mit dessen Hilfe es dann auch im Weltraum nachgewiesen werden konnte.
Nicht nur die neuartige Struktur des Moleküls kommt überraschend. Es tritt auch beinahe halb so häufig auf wie sein unverzweigtes Schwestermolekül, normal-Propylcyanid (n-C3H7CN), das von diesem Forschungsteam bereits einige Jahre vorher mit dem 30-m-Radioteleskop des Institut de Radioastronomie Millimétrique (IRAM) entdeckt wurde. „Die enorme Häufigkeit von iso-Propylcyanid lässt vermuten, dass verzweigte Moleküle in der Tat die Regel und nicht etwa die Ausnahme bei Molekülen im interstellaren Raum darstellen könnten”, sagt Robin Garrod, ein Astrochemiker an der Cornell-Universität und Ko-Autor der Veröffentlichung.
Das Forscherteam nutzte das „Atacama Large Millimeter/submillimeter Array” (ALMA) in Chile, um den molekularen Gehalt der Sternentstehungsregion Sagittarius B2 (Sgr B2) zu untersuchen. Sie liegt in unmittelbarer Nähe zum Zentrum unserer Milchstraße in ca. 27000 Lichtjahren Entfernung von der Sonne und stellt eine einzigartig reichhaltige Fundgrube bei der Suche nach komplexen interstellaren Molekülen dar. „Durch die Leistungsfähigkeit von ALMA waren wir in der Lage, eine komplette spektrale Durchmusterung in Richtung von Sagittarius B2 im Wellenlängenbereich zwischen 2,7 und 3,6 mm durchzuführen“, erklärt Arnaud Belloche. „Dabei waren Empfindlichkeit und räumliche Auflösung 10mal besser als in unseren vorhergehenden Durchmusterungen. Und wir haben nur ein Zehntel der Zeit dafür gebraucht.“ Die Wissenschaftler haben in den Daten systematisch nach den Fingerabdrücken von neuen interstellaren Molekülen gesucht. „Auf dem Hintergrund von Vorhersagen aus unserer Kölner Datenbank für Molekülspektroskopie waren wir in der Lage, Spektrallinien von beiden Unterarten des Propylcyanids zu identifizieren“, sagt Holger Müller. Insgesamt 50 Spektrallinien im ALMA-Spektrum von Sgr B2 konnten eindeutig dem Molekül i-Propylcyanid zugeordnet werden und sogar 120 dem Molekül n-Propylcyanid. Beide Moleküle, aus jeweils 12 Einzelatomen bestehend, sind die größten Moleküle überhaupt, die bis jetzt in Sternentstehungsregionen gefunden werden konnten.
Die Forschergruppe hat mit Computermodellen die chemischen Vorgänge bei der Entstehung der in Sgr B2 gefundenen Moleküle simuliert. Ähnlich wie eine ganze Reihe weiterer komplexer organischer Moleküle bilden sich beide Arten von Propylcyanid sehr effektiv auf den Oberflächen von interstellaren Staubkörnern. „Aber“, so Robin Garrod, „die Modelle zeigen uns, dass bei Molekülen, die groß genug dazu sind, verzweigte Strukturen zu bilden, dies sogar die vorherrschenden Formen sein könnten. Der Nachweis des nächsten Mitglieds der Alkylcyanid-Serie, n-Butylcyanid (n-C4H9CN), mit sogar drei unterschiedlich verzweigten Isomeren, würde es uns möglich machen, diese Annahme zu testen.”
„Die in Meteoriten gefundenen Aminosäuren haben eine Zusammensetzung, die darauf schließen lässt, dass sie im interstellaren Medium entstanden sind“, fügt Arnaud Belloche hinzu. „Obwohl noch keine Aminosäure direkt im interstellaren Raum nachgewiesen werden konnte, dürfte die interstellare Chemie zur Erzeugung einer großen Zahl von komplexen Molekülen beigetragen haben, die schließlich ihren Weg auf die Oberfläche von Planeten gefunden haben.“
„Die Entdeckung von iso-Propylcyanid zeigt uns, dass Aminosäuren tatsächlich im interstellaren Medium vorkommen dürften, da die verzweigte Struktur ein Schlüsselmerkmal für diese Art von Molekülen darstellt“, schließt Karl Menten, Direktor und Leiter der Forschungsabteilung Millimeter- und Submillimeterastronomie am MPIfR in Bonn. „Aminosäuren wurden bereits in Meteoriten gefunden und wir hoffen, dass wir sie bald auch im interstellaren Medium nachweisen können.“
Quelle: Max-Planck-Institut für Radioastronomie (09/2014)
Publikation: Detection of a branched alkyl molecule in the interstellar medium: iso-propyl cyanide, by Arnaud Belloche, Robin T. Garrod, Holger S. P. Müller, Karl M. Menten, 2014 Science, Ausgabe vom 26. September: http://www.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.1256678
Pflanzliches Plankton ist nicht nur Fundament der Nahrungskette in den Ozeanen, sondern bindet über Photosynthese auch Kohlenstoff und produziert Sauerstoff. Dafür nutzt das sogenannte Phytoplankton Sonnenergie. Einen beachtlichen Teil des Phytoplanktons machen Cryptophyten, komplexe einzellige Algen, aus. Sie haben ihre Lichterntemechanismen im Lauf der Evolution stark an ihre Umgebung angepasst und können daher zum Beispiel auch grünes Licht nutzen.
Forscher um Prof. Dr. Nicole Frankenberg-Dinkel decken erstmals Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim Zusammenbau der Lichterntekomplexe der Cryptophyte Guillardia theta im Vergleich zu Cyanobakterien und Rotalgen auf. Die Veröffentlichung der Ergebnisse in der Zeitschrift „Journal of Biological Chemistry“ gehört zu den zwei Prozent der Publikationen, welche zum „Paper of the week“ gewählt wurden.
Cryptophyten: Matrjoschka-Puppe der Gewässer
Im Gegensatz zu klassischen eukaryotischen Zellen – also allen Zellen mit Zellkern – ähneln Cryptophytenzellen einer russischen Puppe in Form einer Alge in einer Alge. Ihre Entstehung beruht auf der Aufnahme und Integration einer Rotalge in eine eukaryotische Wirtszelle. Dadurch haben Cryptophyten die Fähigkeit zur Photosynthese erworben. Wie ihre Vorfahren, die Rotalgen, nutzen Cryptophyten dabei nicht nur den grünen Farbstoff Chlorophyll zur Lichternte, sondern können durch bläulich oder rötlich gefärbte Proteine – sogenannte Phycobiliproteine – auch das durch Chlorophyll reflektierte grüne Licht als Energiequelle nutzen. Nach der Integration der Rotalge wurde das Rotalgengenom im Laufe der Zeit teilweise reduziert und mit dem Wirtszellengenom vermischt. Dabei fanden eine Reihe von Veränderungen auf genetischer, biochemischer und physiologischer Ebene statt, die eine Anpassung an neue ökologische Nischen ermöglichten. So erhielten die Algen zum Beispiel das Grundprinzip der Photosynthese aufrecht, modifizierten es aber deutlich. Dies betrifft unter anderem die Art und Weise der Lichternte und hierbei vor allem die Phycobiliproteine, die sich stark von ihren Vorfahren aus Cyanobakterien und Rotalgen unterscheiden.
Geschützter Pigmenttransport im Fass
In vielerlei Hinsicht ist noch nicht verstanden, wie die Lichternte von Guillardia theta funktioniert. Wissenschaftler der RUB gewannen nun erste Einblicke in die komplexe Biosynthese cryptophytischer Phycobiliproteine. „Dabei kombiniert Guillardia theta offensichtlich bewährte und neuartige Synthesewege und Enzyme“, sagt Prof. Dr. Nicole Frankenberg-Dinkel. So ähnelt die Synthese des roten, für die Lichtaufnahme verantwortlichen Pigments Phycoerythrobilin der in Cyanobakterien. Dahingegen sind an der Anknüpfung der Pigmente an das Phycobiliproteingerüst sowohl bekannte als auch neuartige Enzyme beteiligt. Eines dieser Anknüpfungsenzyme, das GtCPES, konnten die Wissenschaftler um Prof. Frankenberg-Dinkel im Detail biochemisch und strukturell charakterisieren. In Zusammenarbeit mit Dr. Raphael Gasper-Schönenbrücher aus der Arbeitsgruppe Proteinkristallographie um Prof. Dr. Eckhard Hofmann konnten sie die atomare Struktur von GtCPES aufklären. GtCPES besitzt die Form eines nur am Boden geschlossenen Fasses, in dessen Öffnung ein bestimmtes Pigment, das Phycoerythrobilin, hineinpasst. Mithilfe des Fasses wird das empfindliche Pigment vor äußeren Einflüssen geschützt zum Zielort, dem Phycobiliproteingerüst, transportiert. Die strukturellen Eigenschaften der Fassoberseite gewährleisten dabei den Transfer des Pigments in der richtigen Orientierung an eine definierte Stelle des Proteingerüsts.
Publikation: Overkamp, K. E., Gasper, R., Kock, K., Herrmann, C., Hofmann, E. und Frankenberg-Dinkel, N. (2014) „ Insights into the biosynthesis and assembly of cryptophycean phycobiliproteins” J Biol Chem. 289, 26691-26707, doi: 10.1074/jbc.M114.591131