Weltpremiere: UMG-Herzforschern gelingt detaillierter molekularer Blick in atriale Herzmuskelzellen: Neuartige Signalprozesse und auch Krankheitsursachen z.B. von Herzrhythmusstörungen können so grundlegend erklärt werden. Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift The Journal of Clinical Investigation.
(umg) Rund zwei Drittel aller Herzrhythmusstörungen insbesondere bei älteren Menschen haben ihren Ursprung im Herzvorhof. Hier sind die „atrialen“ Herzmuskelzellen des Vorhofs entscheidend für die Füllung der Herzkammern. Doch bisher wurden diese Herzmuskelzellen kaum gezielt mit modernsten zellbiologischen Methoden untersucht. Sören Brandenburg und Prof. Dr. Stephan Lehnart, beide Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), ist es nun weltweit erstmals gelungen, die molekularen Zellstrukturen sogenannter atrialer Kardiomyozyten sichtbar zu machen. Die Forschung wurde durch den Sonderforschungsbereich 1002 „Modulatorische Einheiten bei Herzinsuffizienz“, das Deutsche Zentrum für Herzkreislauf-Forschung (DZHK) sowie die Europäische Union gefördert. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift The Journal of Clinical Investigation.
FORSCHUNGSERGEBNISSE IM DETAIL
Nach neuen Erkenntnissen werden atriale Herzmuskelzellen von spezialisierten und elektrisch erregbaren Membranschläuchen, dem sog. Tubulus-Netzwerk, durchzogen. Das schlauchartige Membransystem durchzieht die atrialen Zellen auf ungewöhnliche Weise. Bislang war unklar, wie elektrische Signale die Kontraktion der atrialen Herzmuskelzelle auslösen und wie die Kontraktion abläuft. „Wir konnten nun zeigen, wie das elektrische Aktionspotential durch die Tubulus-Strukturen bis tief in die Zelle hineingelangt und wo die Zelle im Inneren genau durch die Freisetzung von Ca²+-Ionen stimuliert wird. Ein besseres Verständnis dieser subzellulären Signalmechanismen ermöglicht auch detaillierte Vorhersagen bei Krankheiten, wenn die Signalprozesse gestört sind. Dies ist z.B. bei Herzrhythmusstörungen der Fall“, sagt Sören Brandenburg, Erstautor der Studie.
Die Göttinger Forscher haben zunächst Herzmuskelzellen von genetisch veränderten Mäusen untersucht und dann ihre molekularen Ergebnisse in menschlichen Herzmuskelzellen bestätigt. Das von ihnen erstmals beschriebene und Vorhofzellen-spezifische tubuläre Membrannetzwerk besteht (im Gegensatz zu Muskelzellen der ventrikulären Herzkammern) hauptsächlich aus längs zur Zellachse ausgerichteten Tubulus-Nanostrukturen. Diese kleinsten Strukturen waren mit Hilfe modernster Mikroskopie-Verfahren, wie Stimulated Emission Depletion (STED) und Elektronentomographie, messbar. Die Göttinger Forscher konnten sichtbar machen, wo diese „axialen“ Membrantubuli mit besonders vielen Calcium-Freisetzungskanälen, sog. Ryanodin-Rezeptoren, assoziiert sind, die das Calcium-Signal und damit direkt die Kontraktion der Zelle maßgeblich beeinflussen.
Prozesse verstehen, um neue Therapieansätze entwickeln zu können
Ein gemeinsam mit den amerikanischen Wissenschaftlern Prof. Jonathan Lederer, Prof. George Williams und Prof. Christopher Ward der University of Maryland in Baltimore entwickeltes Computermodell simuliert erstmals die Calcium-Signale atrialer Zellen. So lässt sich beispielsweise folgende Frage beantworten: Wie wird im Zellinneren ein besonders schnelles lokales Calcium-Signalverhalten durch axiale Tubulus-Strukturen vermittelt? Das Modell soll helfen, diese sehr schnellen Signalprozesse noch besser zu verstehen und in Zukunft neue Therapieansätze entwickeln zu können. Das Göttinger Forscherteam konnte im Mausmodell zeigen, welche Auswirkungen eine pathologische Zunahme der Herzmuskeldicke induziert durch Aortenstenose auf atriale Herzmuskelzellen hat. „Die atrialen Zellen wurden dabei nicht nur deutlich größer, auch die Zahl der axialen Tubulus-Strukturen nahm deutlich zu. Diese strukturellen Veränderungen haben einen wichtigen Einfluss auf Calcium-Signale und können eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Herzrhythmusstörungen spielen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, diese Signal-Prozesse vorherzusagen und zu überlegen, welche Substanzen oder Therapieverfahren helfen könnten, nachteilige atriale Remodeling-Prozesse zu verhindern“, sagt Prof. Lehnart, Seniorautor der Studie. Die Idee dahinter: Werden entscheidende krankheitsauslösende Veränderungen in atrialen Zellen frühzeitig gehemmt, können Folgeerkrankungen wie Vorhofflimmern und Schlaganfälle möglicherweise verhindert werden.
Internationale Kooperation bringt Forschungserfolg
Die Publikation der Göttinger Forschungserkenntnisse erfährt eine große Resonanz in der Fachwelt. In einem begleitenden Editorial würdigen die prominenten US-Forscher Prof. Thomas J. Hund und Prof. Peter J. Mohler der Ohio State University die Göttinger Forschung als „beispiellosen experimentellen Kraftakt“, der ein besonders schwieriges aber wichtiges kardiovaskuläres Forschungsfeld nachhaltig erschließt.
Wichtige Voraussetzung für das Gelingen der zentralen zellbiologischen Untersuchungen waren die Optimierung der Methoden bei der Zellisolation und Lebendzell-Membranfärbung, die Verfügbarkeit modernster, hochauflösender Mikroskopie-Verfahren in Göttingen sowie internationale Kollaborationen mit methodisch ausgewiesenen Standorten. „Die enge Kooperation von Universitätsmedizin, Georg-August-Universität und den Max-Planck-Instituten ist ein großer Vorteil des Herzforschungsstandorts Göttingen. Für die Arbeit konnten wir auf eine Kombination von eigens etablierten Methoden zurückgreifen und diese mit innovativen Bildgebungs-verfahren, wie etwa der STED-Mikroskopie von der Arbeitsgruppe um Professor Stefan Hell, ergänzen“, sagt Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Mitautor der Studie und Vorsitzender des Herzforschungszentrums Göttingen (HRCG).
Publikation: Sören Brandenburg, Tobias Kohl, George S.B. Williams, Konstantin Gusev,
Eva Wagner, Eva A. Rog-Zielinska, Elke Hebisch, Miroslav Dura, Michael
Didié, Michael Gotthardt, Viacheslav O. Nikolaev, Gerd Hasenfuss, Peter
Kohl, Christopher W. Ward, W. Jonathan Lederer and Stephan E. Lehnart:
Axial tubule junctions control rapid calcium signaling in atria.The
Journal of Clinical Investigation. doi:10.1172/JCI88241.
Ob Smartphone, Laptop oder Elektroauto – ein leistungsfähigerer Akku steht ganz oben auf der Wunschliste der Nutzer. Auf der Suche nach der nächsten Akku-Generation ist der Natrium-Luft-Akku in den Fokus gerückt. Theoretisch sollte er eine bisher unerreichte Leistungsfähigkeit bieten, nur hapert es an der praktischen Umsetzung. Dieser sind Forscher jetzt einen Schritt näher gekommen. Wie sie in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, könnte eine hochkonzentrierte Elektrolytlösung den Natrium-Luft-Akku stabiler und damit praktikabel machen.
Auf Alkalimetall-Luft-Akkus werden große Hoffnungen gesetzt, da sie eine besonders hohe theoretische Energiedichte haben. Eine der Elektroden besteht aus dem reinen Alkali-Metall. Beim Entladen gibt sie Elektronen in den Stromkreis und positiv geladene Metall-Ionen an den Elektrolyten ab. Die Gegenelektrode aus porösem Kohlenstoff ist in Kontakt mit der Luft. Hier wird Sauerstoff durch Aufnahme von Elektronen in Gegenwart der Metallionen reduziert. Dabei können verschiedene Metalloxid-Verbindungen entstehen. Bei der Ladung des Akkumulators kehrt sich dieser Vorgang um: An der positiven Elektrode wird Sauerstoff (O2) an die Luft abgegeben, an der negativen Elektrode das Alkalimetall wieder abgeschieden.
Eine Reihe grundsätzlicher Probleme stehen einer praktischen Umsetzung noch im Wege: die unzureichende Wiederaufladbarkeit und zahlreiche Nebenreaktionen, die die Stabilität beeinträchtigen, zudem verstopft bei Ansätzen mit Lithium das entstehende Lithiumperoxid die poröse Elektrode. Das als Rohstoff viel leichter verfügbare Natrium könnte eine bessere Wahl sein: In Natrium/Luft-Zellen entsteht überraschenderweise nicht Natriumperoxid, sondern vor allem Natriumsuperoxid (NaO2), das beim Laden nahezu reversibel wieder in die Elemente zerlegt werden kann.
Notwendig ist ein wasserfreies, aprotisches Lösungsmittel (das keine Wasserstoffionen H+ abspalten kann) für den Elektrolyten. Dimethylsulfoxid (DMSO) wäre für elektrochemische Anwendungen die Wahl – reagiert aber leider allzu gern mit Natrium zu problematischen Reaktionsprodukten.
Mingfu He, Kah Chun Lau, Yiying Wu und ihr Team von der Ohio State University, der California State University sowie dem Argonne National Laboratory (USA) haben dafür jetzt einen Lösungsansatz: Eine sehr hohe Konzentration des organischen Salzes Natriumtrifluormethansulfonimid (NaTFSI) stabilisiert DMSO gegenüber Natrium.
Anhand von Raman-Spektroskopie von NaTFSI/DMSO-Elektrolytlösungen sowie Simulationsrechnungen konnten die Wissenschaftler erklären, warum: In der hochkonzentrierten Lösung entsteht eine Struktur aus locker vernetzten Na(DMSO)3TFSI-Einheiten, die einen großen Anteil der DMSO-Moleküle bindet, sodass nur noch wenige für eine Reaktion zur Verfügung stehen. Das Natrium zersetzt dann vorzugsweise TFSI-Anionen – was vorteilhaft ist, da die Produkte eine passivierende Schutzschicht auf der Natrium-Elektrode bilden.
Die Forscher konstruierten einen kleinen Akku, der gute elektrochemische Eigenschaften zeigte und 150 Lade/Entlade-Zyklen ohne nennenswerte Leistungseinbußen durchlief, während Zellen mit einer verdünnten Elektrolytlösung lediglich 6 Zyklen überstanden.
Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (11/2016)
Publikation: Angewandte Chemie: Presseinfo 38/2016 Autor: Yiying Wu, The Ohio State University (USA), https://chemistry.osu.edu/people/wu.531 Link zum Originalbeitrag: http://dx.doi.org/10.1002/ange.201608607
Wenn Licht auf Elektronen in Atomen trifft, ändert sich deren Zustand in unvorstellbar kurzen Zeiträumen. Ein solches Phänomen, nämlich das der Photoionisation, bei dem ein Elektron ein Heliumatom nach Lichtanregung verlässt, haben Laserphysiker des Max-Planck Instituts für Quantenoptik (MPQ), der Technischen Universität München (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München erstmals mit Zeptosekunden-Genauigkeit gemessen. Eine Zeptosekunde ist ein Billionstel einer Milliardstel Sekunde. Das ist die höchste Genauigkeit der Zeitbestimmung eines Ereignisses im Mikrokosmos, die jemals erreicht wurde und zudem die erste absolute Bestimmung des Zeitpunktes der Photoionisation.
Trifft Licht auf die zwei Elektronen eines Heliumatoms, dann muss man extrem schnell sein, um das Geschehen zu beobachten. Hinzu kommen quantenmechanische Vorgänge: Trifft ein Lichtteilchen (Photon) auf die zwei Elektronen, kann es nämlich sein, dass die gesamte Energie des Photons entweder von dem einen Elektron aufgenommen wird oder sich aufteilt.
In jedem Fall der Energieübertragung aber verlässt ein Elektron das Heliumatom. Diesen Vorgang nennt man Photoemission oder photoelektrischen Effekt. Albert Einstein hatte ihn Anfang des letzten Jahrhunderts entdeckt.
Von dem Zeitpunkt an, an dem das Photon mit den Elektronen wechselwirkt bis zu dem Zeitpunkt an dem ein Elektron das Atom verlässt, dauert es zwischen fünf und fünfzehn Attosekunden (1 as ist 10^-18 Sekunden). Das fanden die Physiker bereits vor einigen Jahren heraus.
Einblick in die Welt der Zeptosekunden
Mit ihrer nun verbesserten Messmethode können die Laserphysiker das Geschehen bis auf 850 Zeptosekunden genau messen. Die Forscher schickten zur Anregung der Elektronen einen Attosekunden langen extrem ultravioletten Lichtblitz (XUV) auf ein Heliumatom.
Gleichzeitig ließen sie einen zweiten infraroten Laserpuls auftreffen, der rund vier Femtosekunden dauerte (1fs ist 10^-15 Sekunden). Sobald das Elektron durch die Anregung des XUV–Lichtblitzes das Atom verlassen hatte, wurde es vom infraroten Laserpuls erfasst.
Je nachdem wie gerade das elektromagnetische Feld dieses Pulses zum Zeitpunkt der Erfassung beschaffen war, wurde das Elektron beschleunigt oder abgebremst. Über diese Geschwindigkeitsveränderung konnten die Physiker mit Zeptosekunden-Genauigkeit die Photoemission erfassen.
Im Einklang mit theoretischen Voraussagen
Erstmals bestimmten die Forscher wie die Energie des einfallenden Photons sich auf die beiden Elektronen des Heliumatoms in wenigen Attosekunden vor der Emission eines Teilchens quantenmechanisch verteilt hatte.
"Mit der Messung elektronischer Korrelation wurde hier ein Versprechen der Attosekundenphysik eingelöst, nämlich die zeitliche Auflösung eines Prozesses, die mit anderen Methoden unerreichbar ist“, sagt Reinhard Kienberger, Inhaber des Lehrstuhls für Laser- und Röntgenphysik der TU München.
Die Physiker konnten darüber hinaus die Präzision ihrer Experimente bis auf Zeptosekunden-Genauigkeit mit den theoretischen Vorhersagen ihrer Kollegen vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien korrelieren.
Mit seinen zwei Elektronen ist Helium das einzige System, das sich vollständig quantenmechanisch berechnen lässt. Damit bietet es sich geradezu an, Theorie und Experiment unter einen Hut zu bringen.
„Wir können jetzt in dem verschränkten System aus Elektron und ionisiertem Helium-Mutteratom aus unseren Messungen die komplette wellenmechanische Beschreibung des Systems ableiten“, sagt Schultze vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching.
Mit ihren Metrologie-Experimenten in Zeptosekunden-Zeitdimensionen haben die Laserphysiker damit ein weiteres wichtiges Puzzlestück in der Quantenmechanik des Heliumatoms an die richtige Stelle manövriert und die Messgenauigkeit im Mikrokosmos erstmal in ganz neue Dimensionen vorangetrieben.
Publikation: M. Ossiander, F. Siegrist, V. Shirvanyan, R. Pazourek, A. Sommer, T. Latka, A. Guggenmos, S. Nagele, J. Feist, J. Burgdörfer, R. Kienberger and M. Schultze Attosecond correlation dynamics Nature physics, 7. November 2016, doi: 10.1038/nphys3941 equenzierungen Wirkstofffreisetzungen
An ihre Umwelt angepasste und von anderen abhängige Bakterien wachsen besser: Es ist eine weitverbreitete Annahme, dass es für Lebewesen vorteilhaft ist möglichst unabhängig von anderen zu sein. Einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie ist es nun gelungen experimentell zu zeigen, dass es ganz im Gegenteil für Bakterien sinnvoll sein kann ihre Autonomie zur Herstellung von Stoffen aufzugeben und sich von anderen abhängig zu machen. Dies bedeutet, dass nicht nur der Erwerb neuer Eigenschaften, sondern auch der Verlust von bestimmten Fähigkeiten die evolutionäre Anpassung von Bakterien an die Umwelt – und möglicherweise auch anderen Organismen – vorantreibt.
Es ist schon seit längerem bekannt, dass gentechnisch veränderte Bakterien, die einen bestimmten Stoff nicht mehr selbst herstellen können, diesen jedoch von Quellen in ihrer Umwelt erhalten können, deutlich besser wachsen, als Bakterien, die alles selbst herstellen (siehe Pressemeldung Arbeitsteilung im Reagenzglas vom 2.12.2013). Christian Kost, Leiter der Studie und inzwischen Professor an der Universität Osnabrück, wollte daher wissen, ob auch durch natürliche Selektion der Verlust von Eigenschaften begünstigt wird und Bakterien damit abhängiger von ihrer Umwelt werden. Um dieser Frage nachzugehen, kultivierten er und sein Doktorand Glen D’Souza das Darmbakterium Escherichia coli für mehrere Generationen unter optimalen Nährstoffbedingungen. Die Kultur wurde regelmäßig in frische Nährlösung überführt und bei jedem dieser Schritte wurde auch eine Probe genommen, um die Fähigkeiten der Bakterien sowie deren Erbsubstanz zu untersuchen.
Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung: Bakterien, die ursprünglich autonom waren, verloren ihre Fähigkeiten zur Herstellung von Stoffen, wie beispielsweise Aminosäuren. Sie wurden damit von ihrer Umwelt abhängig, die mit diesen Nährstoffen angereichert war. „Zu unserer Überraschung fanden wir das gleiche Ergebnis, wenn keine Nährstoffe extern zugegeben wurden“, erläutert Glen D’Souza, Erstautor der Studie. „Die Bakterien teilten sich in zwei Gruppen: Eine Gruppe war nach wie vor autonom, während die andere von diesen autonomen Bakterien abhängig wurde, die die Stoffe noch selbst herstellen konnten.“
Der Verlust von Merkmalen wurde nicht nur bei Bakterien beobachtet, sondern ist auch für andere Gruppen von Lebewesen bekannt. So kann auch der Mensch viele Vitamine nicht selbst herstellen, sondern ist dafür auf seine Nahrung oder vitaminproduzierende Bakterien im Darm angewiesen. Auch viele Krankheitserreger brauchen für ihre Vermehrung Stoffe, die nur ihr Wirt produziert. Bisher war weitgehend unklar, warum Lebewesen in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt ihre Selbständigkeit aufgeben und sich damit in eine Abhängigkeit von anderen Organismen begeben. Die Studie zeigt nun, dass der Verlust von Eigenschaften entwicklungsgeschichtlich vorteilhaft sein kann und dadurch die evolutionäre Anpassung vorantreibt.
„Es gab noch weitere Ergebnisse, mit denen wir nicht gerechnet haben. Die Erbsubstanz der abhängigen Bakterien war nicht nur an den Stellen verändert, die direkt an der Herstellung der Aminosäuren beteiligt sind, sondern es waren auch Gene verändert, die solche Stoffwechselprozesse über aktivierende oder hemmende Proteine steuern“, berichtet Christian Kost. Das bedeutet, dass die gleiche Anpassung in der Bakterienpopulation auf unterschiedliche Weise erreicht werden kann. In der Studie fand sich nur eine einseitige Anpassung einer Gruppe von Bakterien, die von einer anderen abhängig wurde. Die Autoren sind sich aber sicher, dass bei einer längeren Versuchsdauer auch gegenseitige und wesentlich komplexere Abhängigkeiten entstanden wären. Das Experiment soll daher noch weiter fortgeführt werden. Natürliche Selektion hängt nicht nur von der genetischen Ausstattung, sondern auch von der Populationsgröße ab. In der Natur schwankt die Größe von Bakteriengemeinschaften sehr stark in Abhängigkeit von deren Lebensstil. Daher möchte das Team herausfinden, wie die Größe von Bakterienpopulationen die Entwicklung von Abhängigkeit und damit die Veränderung ihrer Genome beeinflusst.
Ein schwieriges Problem in der biologischen Forschung ist die Unkultivierbarkeit der allermeisten Bakterienarten. Die Ergebnisse der neuen Studie tragen zu einer Erklärung dieses Phänomens bei: Bakterienpopulationen entwickeln sehr schnell metabolische Abhängigkeiten von ihrer Umgebung, die sich in einer Veränderungen des bakteriellen Genoms manifestieren. Metagenomische Analysen von Umwelt-proben, die die ökologischen Wechselwirkungen mikrobieller Lebens-gemeinschaften in ihrer natürlichen Umgebung einbeziehen, könnten helfen, dieses Problem zu lösen.
Auch in eher anwendungsorientierten Zusammenhängen sind die Forschungsergebnisse von Interesse. Bakterielle Lebensgemeinschaften spielen eine wichtige Rolle für die Gesundheit von Menschen, Pflanzen und Tieren. Metabolische Kooperation, also die Frage, wie sich Bakterien am wechselseitigen Stoffaustausch beteiligen, könnte ein wichtiges Kriterium bei der Zusammenstellung solcher Gemeinschaften für eine Anwendung in der Landwirtschaft und auch im Gesundheitswesen sein. Bakterien könnten so ausgewählt werden, dass sie entweder das Wachstum oder die Abwehr gegen Krankheitserreger unterstützen. [KG/AO]
Medizinische Wirkstoffe und Hormone in den Körper transportieren und gezielt freisetzen ist die Aufgabe von synthetischen Wirten. Diese Moleküle schließen Wirkstoffe in einem Hohlraum ein, bei Steroiden übernehmen das bislang vor allem ringförmige Glucose-Moleküle. Mit den faßförmigen Cucurbiturilen haben Wissenschaftler vom KIT und der Jacobs-Universität Bremen jetzt eine neue Wirtsmolekülklasse entdeckt, die schwer lösliche Steroide wie Kortison oder Estradiol schonender und effizienter zur Wirkung bringen kann.
„Wir haben festgestellt, dass die Wirtsklasse der Cucurbiturile eine höhere Affinität zu den für den medizinischen Einsatz entscheidenden Steroiden hat als die der Cyclodextrine“, erklärt Frank Biedermann, Wissenschaftler am Institut für organische Chemie des KIT. Die ringförmige Glucose Cyclodextrin ist ein relativ großes Molekül, das durch seine flexible Form einerseits anpassungsfähig ist, andererseits aber auch leichter kollabiert. Um die notwendige Wasserlöslichkeit zu erzeugen, braucht man daher eine höhere Dosis des Wirkstoffes und des Begleitmittels. Dies erhöht die unerwünschten Nebenwirkungen des entsprechenden Medikamentes. Zudem verbinden Cyclodextrine sich bevorzugt mit dünneren Molekülketten wie den als Wirkstoff nicht relevanten Cholesterinen.
Anhand von Versuchen mit den Hormonen Testosteron und Estradiol, dem Entzündungshemmer Cortisol und den Muskelrelaktantien Pancuronium und Vercuronium haben die Experten nachgewiesen, dass steroidhaltige Cucurbiturile wesentlich stabiler sind, und die Wasserlöslichkeit ihres Gastmoleküls stärker erhöhen. Außerdem können sie als Wirkstoffdepot fungieren, weil sie auch in Blutserum und Magensäure stabil bleiben und Steroide langsamer im Körper freisetzen. Die neue Wirtsgruppe ist biokompatibel und kann in geringerer Dosierung und selektiver eingesetzt werden. In der Folge könnten Medikamenten auf Steroidbasis besser wirken, ihre Nebenwirkungen könnten zurückgehen und die Herstellungskosten sinken.
„Mit Hilfe von Cucurbiturilen könnten in Zukunft neue und effizientere Formulierungen von Steroid-Wirkstoffen entwickelt werden“, ist Werner Nau, Experte für supramolekulare Chemie an der Jacobs-Universität Bremen, überzeugt. Doch nicht nur die Pharmakologie profitiert nach Einschätzung der beiden Wissenschaftler von den neuen Wirkstofftransportern, sondern auch die biologische Grundlagenforschung. Denn Cucurbiturile ermöglichen in Verbindung mit einem Indikator-Farbstoff auch, die Interaktion zwischen Steroiden und Enzymen auf ihrem Weg durch den Körper in Echtzeit zu beobachten.
Wie vielfältig einsetzbar diese Moleküle sind, soll ein neues Forschungsprojekt zeigen, das Biedermann gerade am KIT startet. Der Wissenschaftler will nachweisen, dass Cucurbiturile Steroide nicht nur mobilisieren, sondern auch wieder immobilisieren können, etwa wenn sie über die Ausscheidungen des Körpers ins Grundwasser gelangen.
Mit einem Cocktail aus vier Genen ist es Forschern des Universitätsklinikums Freiburg und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gelungen, Hautzellen in Nierenzellen umzuwandeln. Diese ähnelten natürlichen Nierentubuluszellen in Aussehen und Funktion. Der neue Ansatz soll helfen, Nierenkrankheiten effizienter zu erforschen und zu behandeln. Das bereits patentierte Verfahren könnte eine Alternative für aufwändige Ansätze sein und den Einsatz von Versuchstieren reduzieren. Denn an so erzeugten Zellen könnte die Nierenverträglichkeit neuer Wirkstoffe getestet werden.
Forschergruppen weltweit haben bereits aus embryonalen oder induzierten Stammzellen nierenähnliche Zellen entwickelt. Dabei wird versucht, durch Wachstumsfaktoren oder Chemikalien die natürliche Entwicklung von Nieren nachzuahmen. Diese Methoden sind aber nicht nur äußerst komplex und zeitaufwendig, sondern werfen auch ethische Fragen im Hinblick auf die Verwendung embryonaler Zellen auf. Einen alternativen Ansatz stellt die sogenannte direkte Reprogrammierung dar. Hier werden wichtige Steuerungs-Gene in eine bereits entwickelte Zelle eingeschleust, um auf diese Weise ihr Schicksal umzukehren und in einen anderen Zelltyp umzuwandeln. Dass eine solche Reprogrammierung möglich ist, konnte unter anderem für Nerven- oder Herzmuskelzellen gezeigt werden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Dr. Soeren Lienkamp, Emmy Noether-Forschungsgruppenleiter an der Klinik für Innere Medizin IV (Nephrologie und Allgemeinmedizin) des Universitätsklinikums Freiburg, und Dr. Sebastian Arnold, Emmy Noether-Forschungsgruppenleiter am Institut für Pharmakologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, ist es nun gelungen, vier Gene zu identifizieren, die Bindegewebszellen der Haut, sogenannte Fibroblasten, in nierenähnliche Zellen (iRECs) umwandeln können. Diese vier Gene brachten die Forscher im Labor mit Hilfe speziell erzeugter Viren in Hautzellen ein, wodurch sich diese zu Nierenzellen entwickelten.
„Auch wenn unsere neu gezüchteten Zellen noch nicht identisch mit ihren natürlichen Verwandten sind, teilen sie erstaunlich viele Eigenschaften mit ihnen“ sagt Dr. Lienkamp. So sind beispielsweise viele Gene aktiv, die auch in echten Nierentubuluszellen angeschaltet sind. Außerdem wachsen und verhalten sich iRECs ähnlich wie Zellen, die direkt aus Nieren gewonnen werden. Sie reagieren ebenso empfindlich auf einige nierenschädliche Medikamente wie ihre natürlichen Vorbilder. „Darüber hinaus können aus den reprogrammierten Zellen wertvolle Rückschlüsse gezogen werden, wie Nierenzellen normalerweise im Körper gebildet werden“, sagt der Entwicklungsbiologe Dr. Arnold.
Fernziel: Umwandlung von Hautzellen nierenkranker Patienten
„Die Herausforderung liegt nun darin, die Eigenschaften dieser Zellen so zu nutzen, dass wir Krankheitsprozesse besser verstehen“, sagt Dr. Michael Kaminski, Erstautor der Studie und Arzt an der Klinik für Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Freiburg. Außerdem will die Forschergruppe die Effizienz und Qualität der Reprogrammierung verbessern, um sobald wie möglich Hautzellen von nierenerkrankten Patienten in Nierenzellen umzuwandeln. Bis eine solche Zell-Umprogrammierung im Menschen selbst, zum Beispiel bei bindegewebig vernarbten Nieren, Anwendung findet, ist es allerding ein langer Weg. Die Einschleusung der Gene mittels Viren ist nicht risikofrei und außerdem ist es eine große Herausforderung, die Niere mit derartigen Viren zu erreichen.
„Ich bin überzeugt, dass die Möglichkeit, Nierenzellen zukünftig aus der Haut von Patienten gewinnen zu können, neue Ansätze in der Erforschung genetischer Nierenerkrankungen bieten kann“, sagt Prof. Dr. Gerd Walz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Freiburg. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des neuen Sonderforschungsbereiches 1140 KIDGEM erzielt.